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1860—1860
Cigarren. All das, in großem Maßstab betrieben, bleibt einergewissen Wirkung sicher, die nur eben keine künstlerische ist. LebendigeFiguren werden diese Witz-Automaten wie Wippchen nicht, währendein minder berühmter Konkurrent Stettenheims, Sigmund Haber(1835—1898) aus Neisse , im „Ulk" lebendige Typen des BerlinerLebens schuf, den Bummler Nunne nnd die Nähmamsell PaulaErbswurst, die „nicht vorgreisen will" — Gestalten, die sich denZwickauer, Strudelwitz, Karlchen Mießnick des alten „Kladdera-datsch" nicht unwürdig anreihen. Derselbe Unterschied trennt dengeistreichen, aber über ein Mosaik von Einzelwitzen nie hinaus-kommenden Wiener Humoristen Daniel Spitzer (1835—1893von dem Holsteiner Jnlius Stinde (geboren 1841), der denTypus der allzugeschciten, platt vergnügten Berliner Philistersfrauin seiuer „Wilhelmine Buchholz " zum Ergötzen Bismarcks undzum Abscheu Mommsens mit tödlicher Sicherheit abmalte, aberfreilich dann auch geschäftsmäßig ausbeutete (Buchholzeus in Italien "1883 „Familie Buchholz" 1884 „Frau Wilhelmine " 1886 u. f. w.;der erste Teil der „Familie Buchholz " brachte es auf 73 Auflagen!).
Bedeutender und eigenartiger ist unzweifelhaft der stärksteHumorist dieser Zeit: Wilhelm Busch (geb. 1832 in Wiedensahl bei Stadthagen ), dessen Anfänge („Bilderpossen" 1857), auch schoudas berühmte Buch „Max und Moritz " (1858) allerdings noch demvorigen Jahrzehnt angehören, dessen eigentliche Wirksamkeit aberdies und das folgende ausfüllt. Stettenheim ist für seine Zeitnur durch die geschickte specialistische Mache bezeichnend, WilhelmBusch aber durch das ganze Wesen seiner Kunst; denn allerdingsdarf man bei diesen scheinbar so ganz kunstlos hingeworfenen Reim-und Federspielen von Kunst sprechen.
Wir sahen schon bei Scheffel den Stolz der Zeit auf ihrWissen und Können in parodistischen Humor umschlagen. Tiefergeht die melancholische Begründung des Humors bei Busch. Erist nicht, wie der Dichter des „Gaudeamus", ein persönlich miß-gestimmter Mensch, der in der zu dicht besetzten Welt nirgendseinen bequemen Tischplatz findet, sondern er ist im Grunde eiuVerächter dieser Welttasel selbst und ihrer Genüsse. Schopenhauerist die Lieblingslektüre dieses Humoristen, und wer seine Lyrik undseine Prosa kennt, wird sich darüber nicht wundern. Die „Kritikdes Herzens " (1374), wenig beachtet, weil bilderlos, giebt sür seineganze Produktion den Schlüssel. Sie zeigt ihn von Heinrich Heine