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geschriebenen Einwendungen der Gegner nicht zu hören oder dochnur als der Beachtung unwertes Geräusch zu behandeln.
Der im Leid früh gereifte Jüngling studierte Nationalökonomie,Jura, Geschichte; besonderen Einfluß übten auf ihn Dahlmann, dener in Bonn hörte, und Fichte, den er eifrig las. Wie Baillentreffend hervorhebt, gehen Treitschkes politische Ideen aus seinenethischen Anschauungen hervor und nicht umgekehrt: „er verurteiltdie deutsche Kleinstaaterei besonders deshalb mit aller ihm eigenenleidenschaftlichen Entrüstung, weil sie den sittlichen Charakter derDeutschen verkümmere und herabwürdige". Auch für die Nation,die er mit ganzer Seele liebte, galt jener Spruch, daß wir einwenig Glück brauchen, um tüchtig und sittlich zu leben; die dnmpfeGedrücktheit der politischen Zustände ließ die deutsche Tüchtigkeitnicht zu ihrer vollen Kraft gelangen. Wie Wolfgang'Menzel undLudwig Börne , wie Sallct und Dingelstedt faßt er die unheilvolleWirkung der zerrissenen politischen Zustände vor allein als moralischeGefahr auf. So ward der Schüler Fichtes und Dahlmanns zumaktiven Politiker.
Das war er schon, als er (1858—1863) in Leipzig alsPrivatdocent für Geschichte wirkte und dort namentlich GustavFreytag nahe trat. Dem sonst nüchtern zurückhaltenden Vorfechter derpreußischen Größe ging das Herz auf beim Anblick dieses Sachsen,der die Kleinstaaterei so ingrimmig haßte, dieses guten Kameraden,mit dem er „ein gutes Teil der Poesie, welche uns erwärmte undhob", aus dem Kreise der Antipartikularisten scheiden sah, alsTreitschke 1863 als Professor nach Freiburg ging. Hier vollendeteer sein erstes großes Buch, den ersten Band der „Historischenund politischen Aufsätze" (1865). Ganz und gar, wie es schonder Titel sagt, ein Schüler der „politischen Historiker", unter denenihm nach der politischen Tendenz Sybel und Baumgarten, nachder lebhaft subjektiven Erfassung aber Mommsen am nächsten stand,ist er ein Genosse dieser glänzenden Männer auch durch die Viel-seitigkeit der Interessen und die künstlerische Bewertung der Form.Aber das Studium der politischen Geschichte, das bei den Früherennur ein Hilfsmittel zur Erfassung der theoretischen Politik war,ward bei ihm eine Waffe der praktischen Politik. Unparteiisch wollteer gar nicht heißen. „Nach dem Ruhme, von den Gegnern un-parteiisch genannt zu werden, trachte ich nicht... Jene blutloseObjektivität, die gar nicht sagt, auf welcher Seite der Darstellende