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1860—1870,
mit seinem Herzen steht, ist das gerade Gegenteil des echten histo-rischen Sinns. Alle großen Historiker haben ihre Parteistellnngoffen bekannt." Zn Ranke, dem er es nicht verzeihen konnte, wiekühl er von Deutschlands größten Nöten zu erzählen verstand, bliebTreitschke immer iu starkem Gegensatz; Macaulay und Mommsenleuchteten seinem Wege voran.
Schon diese Namen aber beweisen, daß Treitschke trotz seinerpolitischen Voreingenommenheit nicht etwa, wie doch wiederholtvon liberaler Seite geschehen ist, mit Partei-Geschichtsmachernwie dem alten Rotteck zusammengestellt werden darf. Diesen wardie Geschichte wirklich nur ein Arsenal, aus dem ihre Parteigängersich Waffen holen sollten gegen „Tyrannen" und „Blutsauger";die welthistorische Wirklichkeit verlor ihr selbständiges Recht. Treitschke dagegen besaß, was der echte Historiker nicht entbehren kann: dieFreude an den Thatsachen . Als er sein größtes und berühmtestesWerk begann, die „Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert"(seit 1879), da war es sein ausgesprochenes Ziel, den Deutschen wiederzugeben, was sie verloren hatten: die Freude an ihrer großenGeschichte. Er konnte es, weil er selbst sie so voll empfand. Indieser Intensität des historischen Miterlebens lag, wie in Dühringsinniger Liebe zur Realität, wie in Haeckels Begeisterung für dienene Lehre, jenes zündende Feuer echter Poesie, das ihn zumgrößten Werber für die nationale Idee machte. Er hat sich auchselbst als Dichter versucht („Vaterländische Gedichte" 1856, „Studien"18S7; dramatische Entwürfe), ohne doch über den Dilettantismushinauszukommen, wenige Stücke ausgenommen, in denen der starkeMann, der eigenes Leid in der Brust zu verschließen gewohnt war,doch einmal sagt, was er leide. Er glaubte sich eine Zeitlang zumDichter berufen; aber dazu war seine Fähigkeit des Mit- und Ein-fühlens zu sehr begrenzt. Steht er bei den Seinen, so erlebt eralles mit und das Bild des mächtig kämpfenden Hektors hat etwasBegeisterndes. Blickt er aber auf die Gegner, so verwandelt seineLeidenschaft sie sofort, wie der Trank der Kirke die Genossen desOdysseus , in lauter unreine Tiere. Er kann sich nicht genug thuuau unermüdlichen Hohnworten; kein Österreicher, der nicht einScheltwort mit dem Präfix „k.k." erhielte; „demokratisches Gewieher",„maßlose Unwissenheit", „dreiste Pfiffigkeit" und dergleichen ohneUnterlaß, zumal in den letzten Bänden. So erhalten wir denEindruck, daß auf der einen Seite immer nur Weisheit und Kraft