Treitschkes „Deutsche Geschichte"
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gewaltet habe, auf der andern nur Thorheit und Bosheit; solcherKampf aber ist kein Poetischer. Milton selbst mußte schon aus ästheti-schen Gründen Satan als einen mächtigen Widersacher schildern; demrhetorischen Eifer Treitschkes wäre er zum dummen Teufel geworden.Dabei nirgends ein Ausruhen, ein Verweilen, wie es die künst-lerische Ökonomie sordert. Rastlos treibt den Kämpfer die eigeneLeidenschaft, die alten Gegner noch einmal zu treffen, neue aufzu-suchen, die geschlagenen zn verhöhnen. Das alles giebt dem zuviel gerühmten Stil Treitschkes die Maßlosigkeit, die Ruhelosigkeit,die Monotonie beständiger Aufgeregtheit, über die ein Stilist wieD. Fr. Stranß klagt. Auch scheint es mir unrichtig, die Mängel diesesimmer rhetorischen, immer die gleichen Mittel verwendenden, immerüberlauten Stils aus dem kuror teulonieus des dreinschlagendenPolitikers allein zu erklären; es ist in diesem Zuviel von Pathoseher ein atavistischer Rückschlag in die slavische Kriegsberedsamkeitder alten Tröeks. Die Geschichte der Beredsamkeit wird freilichgerade die rhetorischen Partien des Werkes so wenig übersehendürfen wie Treitschkes Neichstagsreden (erschienen 1896) oder diein den „Zehn Jahren deutscher Kämpfe" (1874) gesammelten Aus-sätze aus den „Preußischen Jahrbüchern", die Treitschke leitete,uachdem er 1866 aus politischen Gründen die Freiburger Professurniedergelegt hatte.
Aber Treitschkes „Deutsche Geschichte" ist mehr als ein Kunst-werk; sie ist eine That, sie ist, trotz alleu Einseitigkeiten, eine großepatriotische That von dauernder Bedeutung. Mit ihr hat Treitschke wirklich Geschichte mehr gemacht als geschrieben. Er hat denDeutschen nicht nur, wie er begehrte, die verlorene Freude an ihrerGeschichte wiedergegeben — er hat ihnen auch ein neues Fundamentgeschenkt für die geschichtliche Entwickelung der Zuknnst.
Die ungeheure Bedeutung des Werks, die schwerlich überschätztwerden kann, ruht vor allem wieder in der Persönlichkeit des Ver-fassers. Nach kurzer Thätigkeit in Kiel war Treitschke (1867) alsHäussers Nachfolger in Heidelberg wohl der populärste Hochschul-lehrer Deutschlands, und das ist er in Berlin (seit 1874) geblieben.Was die Jngend hinriß, war der lautere Eifer, mit dem der Manuganz in der Idee des Vaterlandes aufging. Er hatte mit seinempartikularistisch - sächsischen Vater, den er herzlich liebte, bittereKämpfe ausfechteu müssen, hatte wiederholt seine Existenz aufs Spielgesetzt — unbedenklich; er kannte hier keinen Zweifel. Wer den