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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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Anzcngrubers Lustspiele.

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tötet. Aber der Übermut, den das bedenkliche Motiv fordert esliegt wieder in der echten alten Komödientradition, daß Anzengrubers Lustspiele sich gern dicht an den Grenzen bedenklich erotischer Komikhalten ist hier allzu gewaltsam. Daß der Dichter es wagt, einean Halbblindheit streifende Kurzsichtigkeit komisch zu behandeln, ent-spricht dem brutalen Humor der volkstümlichen Schwänke; aberneben diesem tollen Büchernarren mit dem grotesken NamenPro-fessor Foliantenwälzer" stehen so fein und sicher gezeichnete Figurenvoll realistischer Lebenswahrheit, daß der wie ein Ungeheuer überdie Bühne gehetzte Narr gerade durch den stillosen Kontrast uner-träglich wird. Dagegen ist freilich das dramaturgische Faktotum,der arme und schlaue Kerl, der alles ins Geleis bringen muß, wasdie hochmütigen Reichen anrichten, echtester Anzengruber, und mitseinem trockenen Witz öffnet er ein unerschöpfliches Füllhorn präch-tigsten Humors.

All diese Lustspiele vereinigen mit rein schwankhaften Elementenernste Situationen nnd tiefsinnige Probleme. Das wuchs beiAnzengruber nicht aus theoretischem Behagen an der zweifelhastenForm derTragikomödie" hervor, die als eigene Gattung immerbei Doktrinären mehr als bei schaffenden Dichtern beliebt war.Diese Stücke sind denn auch durchaus nicht so zu titulieren, essind einfach Komödien, in denen der ernste Untergrund jeder ge-festeten Heiterkeit zuweilen sichtbar wird, wie in Lessings Minnavon Varnhelm" oder gar in Shakespeares hohen Lustspielen. Aberjene von uns schon angezogene tragische Episode derKreuzel-schreiber " zeigt doch, wie aus der hellen Lebensfreudigkeit desSchilderers der Ernst und die Trauer herauswachsen konnte.Gerade als ein Mittel, das specifische Gewicht des Schwankeszu erhöhen, ist die ernste Episode unentbehrlich; nur muß sieorganisch aus der Widerspiegelung des Lebens und der Natur desDichters hervorgehen, nicht von außen hineingelegt sein, wie etwadie unerträglichen sentimentalen Scenen in Blumenthals und seines-gleichen Possen.

Der Pfarrer von Kirchfeld " kann es nicht verleugnen,daß er von einem Meister der Komödie geschrieben ist. Das istnoch das Wenigste, daß stillos possenhafte Wendungen gerade indie ernsten Momente hineinschneien, wie wenn etwa der servileSchulmeister zu dem hochmögenden Grafen sagt:wenn Sie einengnädigen Blick über derer hochwohlgeborene Achsel zu werfen ge-

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