678 1860-1870.
Stück wahrlich nicht, wie oberflächliche Beurteilung dennoch that,als eine Ausforderung zur Empörung der Kinder gegen die Elternauffafsen. Ein in liederlichem Wohlleben dahinvegetierendes Bürger-paar, der Vater Säufer, die Mutter Kupplerin, stößt Sohn uudTochter ins Verderben und weiß alle Mahuung der braven, starken,gut altbürgerlichen Großmutter zu vereiteln. Es ist die Tragödiedes schlimmen Elternhauses; aber den Kindern bleibt die Verant-wortung nicht dafür geschenkt, daß sie sich von dem Fluch nicht zulösen wußten. Die Gelegenheit bot sich dar, dem Sohne vor allem,dem der Militärdienst eine wohlthätig abhärtende Schule werdeukonnte. Aber immer rücken wieder die verblendeten Schalanterleutean und holen ihren Martin in die Bahn der Selbstverwahrlosuugzurück. Da mag er wohl, als er seine Schuld mit dem Todezahlen muß, verbittert sagen: „Wenn du in der Schul' den Kindernlernst: Ehret Vater und Mntter, so sag's auch von der Kanzel denEltern, daß s' danach sein sollen!" Den Eltern predigt hier derDichter, nicht den Kindern; oder doch vor allem den Eltern. DieVerantwortlichkeit, die sie an der Seele ihrer Kinder tragen, schärfter leichtsinnigen und gewissenlosen Eltern ein; und dies wäre einunmoralisches Stück?
Viel mehr als vom moralischen Gesichtspunkt ist vom ästhe-tischen einzuwenden. Die große Figurenzahl kommt dem Stücknicht zu statten; die städtische Atmosphäre wirkt auf die Reden un-günstig ein; vor allem: der Musterknabe, der Feldwebel Frey, istunleidlich wie alle Musterknaben pädagogischer Dramen und Ro-mane. Und dann: so sicher auch bis vor die Katastrophe dieHandlung geleitet ist, so ist diese selbst doch schließlich überstürzt.Daß der Sohn den Feldwebel, in dem er die leibhafte Mahnungzur Ordnung und Zucht haßt, erschießt, weil sich dieser hinreißenläßt, Vater und Mutter vor dem Sohn zu beschimpfen, das giebtdem Verbrechen des lockeren Gesellen einen mißklingenden Obertonvon Märtyrertum. Und ist es wahrscheinlich, daß dieser Genüßling,der die Eltern nur „ehrt", wo es ihm in den Kram paßt, dersonst den Vater anschreit und sogar thätlich bedroht, gerade hier-durch sich zu dem Äußersteu reizen läßt, nachdem er so viel ein-gesteckt hat, was ihn persönlich viel mehr erregen mußte?
Auch das letzte Drama Anzeugrubers, „Der Fleck auf derEhr'" (1889), steht nicht auf der Höhe seiner besten Schöpfungen.Es ist (wie „Stahl und Stein" 1887, die Dramatisierung der er-