Druckschrift 
Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
Entstehung
Seite
679
Einzelbild herunterladen
 

Anzengrubers Chcirciktcrstudicn, 679

schlitternden ErzählungDer Einsam") eine dramatisierte Geschichte,und schon dies Umbauen, dies zweimalige Ausnutzen einer Erfin-dung bewies wohl sinkende Kraft. Eine ganz auf tragischen Aus-gang angelegte Fabel (die auch in der Novelle tragisch schloß) wirddurch rechtzeitigen Todesfall und sentimentale Verkündigung ver-söhnend umgebogen. Wie dem Optimisten der Kampfjahre dertragische Schluß desPfarrers von Kirchfeld", so mißlang jetzt demdurch traurige Erlebnisse verbitterten, müden Mann die Auflösungdes Konflikts. Das Spiel der wechselnden Seelenregnngen aber inden Hauptfiguren und ihrer nächsten Umgebung verrät noch denalten Meister.

Dnrch die Vernachlässigung der Nebengestalten stellt sich diesSchauspiel nahe zu einer Gruppe kraftvoller dramatischer Charakter-studien:Der ledige Hof" (1877),Die Trutzige" (1878).Sie sind fast ganz auf die Zeichnung einer Figur augelegt undsetzen in der Vertiefung eines widerspruchsvoll erscheinenden undim Grunde doch fest geschlossenen Frauencharakters die alte specifischgermanische Tradition fort, die die Gegenbilder Cordelia (imLear")und Käthchen (in derBezähmten Widerspenstigen") geschaffen hat.

Charakterstndien bilden die Grundlage auch seiner Erzählungen.Dem scharfsinnigen Beobachter entging nicht leicht ein eigenartigerTypus, vor allem innerhalb der ihm so vertraute» bäurischen Welt.Wie stehen sie in seinen Dramen da, diese Großbauern, diese Pfarrerdiese Dorfphilosophen, Mägde, Knechte auf der Basis gewisserfester Grnndzüge so individuell wie Fontanes zahlreiche Offiziereund Pastoren. Aber besondere Prachtstücke verlangen noch außer-halb der allgemeineren Verwendung eine Beschreibung für sich.Die erhalten sie in denDorfgängen" (1879) und den Kalender-geschichten. Ein leiser Einfluß Auerbachs ist zumal in letzterennicht abzustreiten; hauptsächlich aber wirkt auch hier die uralte volks-tümliche Tradition nach. So prächtige Schwanke wie der vomgottüberlegenen Jakob" oderwenn einer es zn schlau macht"setzen die mittelalterliche Anekdote mit ihrer auch das Heiligste nichtverschonenden übermütigen Heiterkeit und ihrer naiv-sicheren Technikfort. Schwere, ergreifende Geschichten freilich, wie das pessimistischeGott verloren", wie die KriminalnovelleWissen macht Herz-weh" oder derEinsam" mit seiner gegen klerikal-polizeiliche Be-vormundung gerichteten Tendenz sind modern; erwachsen sind siedennoch aus der alten Wurzel der volkstümlichen Abenteuer-