Der Kulturkampf,
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anwenden, das Victor Hugo für die Provinz Prägte, die so heldenhaftihren Noyalismus gegen die Republik aufrecht erhielt: Vsnässest, uns r>Ia,is, c^ui sst uns Zloire.^
Aber in der Leidenschaft dieser Gegensätze wurde fast alles ver-braucht, was von Idealismus lebte. Nichts blieb übrig für einallgemeineres Kunstiuteresse. Nie stand der Durchschnittsgeschmacktiefer. In der Zeit, da man Jordan und Hamerling feierte, warman doktrinär; jetzt war man roh. Die Bühnen des siegreichenVolks eroberte die niedrigste Kunst des besiegten Frankreich . Flanbertund die Goncourt kannte man nicht, Zola las man höchstens ausInteresse an den Cynismen seiner Darstellung; aber die seelenlosenMarionettenspiele Sardous, die lüsterne Operette, das sinnlich raffi-nierte Ballett triumphierten. Auf den Spuren der Pariser Taschen-spieler schritten uicht nur arme Witzlinge wie Oskar Blumen thaligeb. 1852), sondern auch das feinere, aber gewissenlose TalentPaul Lindaus (geb. 1839); und Kritik und Intendanzen öffnetenweit die Pforten vor dem Einzug der esfekthaschenden Afterkunst. —Die bildeude Kunst schlich träge weiter in abgetretenen Pfaden, odersie verewigte ihre Leere in Denkmalen eines äußerlichen Patriotis-mus, wie der furchtbaren Siegessäule iu Berlin , die durch Quantitätund Kostspieligkeit die Öde ihrer Konzeption wett zu machen suchte.
— Das Kunstgewerbe war tot; die Mode, pariserisch wie nur je,kannte nur zwei Unformen: die Körpergestalt brntal entstellen nndverrenken (es war die Epoche der Tournüre!) oder sie raffiniertbloßstellen; Fr. Th. Bischer schrieb ingrimmig gegen „Mode undCynismus", gegen das Bepacken wie gegen das „in Kleidern nacktgehen". — Am schlimmsten war das gesellige Leben entartet. Plötz-lich, mit ungesunder Hast, war unter dem befruchtenden Regen derMilliarden ein Spekulationssieber erwacht: die Gründerjahre stürztenherein, in denen die Maurer Champagner iranken und die Parvenüsder Bourgeoisie iu eiuem krankhaften Luxus deu raschen Genußihres unsicheren Besitzes feierten. Ein verletzendes Protzentum nährtedie gespannten Klassengegensätze. Dann brach der Krach herein,die industrielle Nemesis, und zeugte eiu häßliches Denunziantentum,lahmte die berechtigte Unteruehmungslust und ließ einen leidenschaft-lichen Haß gegen das Bürgertum in zahllosen geschädigten oder
— neiderfüllten Herzen zurück.
So ward das Jahrzehnt, das politisch so glorreich dasteht,social wie künstlerisch eine Zeit tiefsten Niedergangs. Aber wiederum