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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
Entstehung
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697
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Die neue Generation. 697

Aber wenn Friedrich Nietzsche den Charakter der neuen Zeitani frühesten, stärksten, vollständigsten vertritt einzelne Elementefinden wir in allen herrschend, die jetzt neu in die Arena rücken.

Am allgemeinsten ist wohl das romantische Element ver-breitet. Die Verhältnisse waren dazu angethan, diese Stimmungreifen zu lassen: Erwerbsgier und Genußsucht, übermütige Ver-achtung jeder idealen Auffassung, die unduldsame Orthodoxie einesgedankenarmen Materialismus all diese schönen Diuge wareuvor allem in derbesseren Gesellschaft" so stark verbreitet, daß sieeine Reaktion erwecken mußten. Zartere Gemüter flüchteten sich inirgend eine Weltferne; stärkere nahmen den Kampf auf. DieKämpfer sind diesmal in der Mehrheit. Aber fast durchweg habcusie eine merkwürdig sanfte, fast elegische Art zu fechten; zuweileuhat man fast den Eindruck, als gäben sie die von ihnen verteidigteSache selbst verloren.

Romantik als Stille, als Weltflucht, als religiöse Versenkungund Kultus inniger Stimmung das ist die Grundfärbnng, in dereine größere Gruppe von Autoreu auf den Kampfplatz tritt. Essind zumeist nicht eigentlich Mitglieder derneueu Generation",sondern ältere Herren, die erst jetzt zur Feder greisen.Schrift-steller sein", sagt der französische Literarhistoriker Nisnrd,heißtein Mann der That mit der Feder sein." So wird ein älterer,verdienter Gelehrter, der Germanist Max Rieger aus Darmstadt (geb. 1828), jetzt durch die pietätlose Zeitströmung zurThat durchdie Feder" aufgerufen. Der feine metrische Studien und sorgfältigeUntersuchungen über den Stürmer und Dränger Klinger geschriebenhatte, veröffentlicht nun (1877) unter dem PseudonymUtis "eine Novelle, die gegen den Rationalismus der Zeit, gegen dierohen Renovierungen, gegen Richard Wagner als Propheten einersinnlich-modernen Kunst polemisiert und stellt später eine Samm-lung solcher Erzähluugen (Der neue Phantasus" 1887) unterTiecks Patronat. In der That wird in diesen bewußtalt-modischen" Novellen die Art Tiecks anmutig erneuert; Gesprächeüber Kunst, Musik, Christentum bilden den eigentlichen Hauptinhalt,ohne daß doch die Fabel einer gewissen liebenswürdig schlichtenGrazie, die Charakterzeichuuug eines behaglichen Hnmors entbehrte.Der Ton wie die Opposition gegen die Gegenwart erinnern öftersan Niehl, und vielleicht wäre nur ein größerer Eifer der Produktionerforderlich gewesen, um dieser hübsch-anachronistischen Kunst