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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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699
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Steinhausen. Niemann. Oeser , 699

und die wildgcwordene Tochter Mignons, die abenteuerlicheOrientalin mit dem Korallenhalsband, erfüllt den Erzähler augen-scheinlich mit einer gut romantischen Freude am Unerhörten, dieder moderne Leser vielleicht nicht so ganz mehr mitempfindet. Aberes bleibt bei Niemann noch genug übrig, um seine Romane weitüber den Durchschnitt zu heben: kräftige Charakterzeichnung, origi-nelle Situationen, wie die Gratulationscour bei dem großenBanquier, Witz, Selbständigkeit iu der Aussassnng. Sehrviel anspruchsvoller tritt Karl Weitbrecht (geb. 1847) auf, derNachfolger Fr. Th. Wischers am Stuttgarter Polytechnikuni, derauch dem satirischen Roman Wischers ein Gegenstück zu gebenversuchte. Paulus Wickram, der Held vonPhaläna", (1892) ist,wieAuch Einer", idealisiertes Selbstporträt; und allen Verdrußüber seine nicht genügend beachteten Gedichte hat der Verfasser indieseLeiden eines Bnches" getragen. Leider nur sind die Verse,die er darin selbst als Proben echter alter Poesie mitteilt, wirklichvonProfessorenlyrik nnd Miunesingsang" nicht so weit entfernt,um den Zornesausbruch über ein paar moderne Tadler zu recht-fertigen, dieRose" undGekose",leise" undWeise" abgebrauchtfinden.

Der geistreichste und originellste Vertreter dieser Richtung,Hermann Oeser (geb. 1849 in Lindheim ), gehört eigentlich in dasfolgende Jahrzehnt: dennoch dürfen wir ihn von Autoren wieNieger - Utis und Steinhausen nicht trennen. Ein entschieden christ-licher Geist erfüllt seine Bücher (Vom Tage" 1888,StilleLeute" 1890); aber das bedeutendste mindestens,des HerrnArchemoros Gedanken über Irrende, Suchende und Selbstgewisse"(1891) wird auch, wer dem positiv religiösen Inhalt völlig fern-steht, nicht ohne Genuß, nicht ohne Belehrung und Bereicherunglesen. Hier ist echte Originalität, die in volkstümlich-kräftigenGleichnissen zu veranschaulichen weiß. Es erinnert an die alte,mit dem Gedanken anmutig Versteck spielende Art alter Prediger,Kirchen, wenn er Gebote verkündet wie diese:Du sollst nichtdas Spalier begießen",Du sollst nicht Schnee schöpfen",Dusollst kein Pfläfterchen schmieren", und wenn er diese Vorschriftendann mit glücklich gewählten Beispielen erläutert. Einer ruhigbeobachtenden Natur erwachsen aus der didaktischen Praxis .fastunwillkürlich typische Figuren, typische Situationen. Nicht immersind sie tief; dieBarometrischen Studien" etwa sind in der be-