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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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Friedrich Nietzsche.

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Pforta (1858). Er ist auch hier ein Musterschüler, aber denKnaben, der damals schon (1859) ausrief:Groß ist das Gebietdes Wissens, unendlich das Forschen nach Wahrheit!" mußte balddie Forscherlust über die vorgeschriebenen Gebiete des Wissenshinaustreiben. Als er auf die Dichteruniversität Bonn zog (1864)und in Friedrich Spielhagens Burschenschaft Franconia einsprang,hatte er mit dem Glauben seiner Kindheit längst gebrochen. Alser seinem philologischen Vorbild und Meister, dem großen La-teiner Ritschl, nach Leipzig (1865 1867) solgte, war er längstForscher nicht mehr bloß auf dem Boden der antiken Sprachen.Drei Dinge sind meine Erholungen, aber seltene Erholuugeu:mein Schopenhauer, Schnmanusche Musik, endlich einsame Spazier-gänge" (1866). Dies Trifolium blieb: Philosophie, Musik, einsameSpaziergänge; aber die Eigennamen wechselten. Die ausgezeichneteBiographie Nietzsches von der Hand seiner Schwester, aus denreichhaltigsten Quellen mit hingebender Liebe und kongenialem Ver-ständnis geschöpft, zeigt jetzt, wie früh er Schopenhauer zuüber-winden" begann; aber der Philosoph führte ihn doch noch vonSchumann zu Richard Wagner . Als er diesen (Mai 1869) per-sönlich kennte lernte, fand er in ihmeinen Menschen, der wiekein anderer das Bild dessen, was Schopenhauer das ,Genie" nennt,mir offenbart und der ganz durchdrungen ist von jener wuudersaminnigen Philosophie".

Durch Ritschls Vermitteluug war Nietzsche, ehe er nochsein Doktorexamen bestanden hatte (1869), Professor an der Uni-versität Basel geworden. Hier kam er zu bedeutenden Persön-lichkeiten in enge Beziehungen: zu Jakob Burckhardt , den er alsden größten Deuter der griechischen Volksseele verehrte, zu demTheologen Overbeck vor allem aber eben zu Richard Waguerund seinem Kreis; der Komponist lebte damals in der Schweiz ,in Tribschen bei Luzern . Das Verhältnis gedieh zu größter Innig-keit; nur zwei Porträts hingen in Richard Wagners Zimmer: Liszt nndNietzsche. Nietzsche selbst hat diese Tage der innigen Freundschaftstets als das größte Glück seines Lebeus aufgefaßt.

Aberuns ist gegeben, auf keiner Stätte zu ruhen", sang derDichter, der auf den jungen Philosophen am stärksten gewirkt hat:Hölderlin . Der große Krieg brachte die erste Unterbrechung jenerhalkyonischen Tage". Der Krankenpfleger nnr als solchenhatte die neutrale Schweiz ihu beurlauben dürfen erkrankte,