Print 
Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
Place and Date of Creation
Page
719
Turn right 90°Turn left 90°
  
  
  
  
  
 
Download single image
 
  

Nietzsches Leben.

719

zwischen Nietzsches Interessen und den eigenen eine Kluft aufthat;nur als Werkzeug war er ihm willkommen gewesen. DieUn-zeitgemäßen Betrachtungen" (18731876) hatten den AutorderGeburt der Tragödie" von Richard Wagner entfernt;Menschliches Allzumenschliches" (18781879) vernichteteihren Zusammenhang. Nietzsche war seinerseits unglücklich überWagners letzte Entwicklung:

Richard Wagner , scheinbar der siegreichste, in Wahrheit ein morsch ge-wordener, verzweifelter cI6oac1erir, sank plötzlich, hilflos und zerbrochen, vordem christlichen Kreuze nieder. Hat denn kein Deutscher für dies schauer-liche Schauspiel damals Augen im Kopfe, Mitgefühl in seinem Gewissengehabt? War ich der Einzige, der an ihm litt? Als ich allein weiterging, zitterte ich; nicht lange darauf war ich krank, mehr als krank, nämlichmüde müde aus der unaufhaltsamen Enttänschuug über Alles, was unsmodernen Menschen zur Begeisterung übrig blieb, über die allerorts ver-geudete Kraft, Arbeit, Hoffnung, Jngcnd, Liebe, müde aus Ekel vor derganzen idealistischen Lügnerei und Großen-Verweichlichung, die hier wiedereinmal den Sieg über einen der Tapfersten davongetragen hatte, müdeendlich, und nicht am wenigsten, aus dem Gran? eines unerbittlichen Arg-wohns daß ich nunmehr verurteilt sei, tiefer zu mißtrauen, tiefer alleinzu sein als je vorher. Denn ich hatte niemanden gehabt als RichardWagner . »

Ostern 1879 kam es zu einer furchtbaren Krisis. Er mußteseine Professur niederlegen; erkam auf den niedrigsten Punktseiner Vitalität er lebte noch, doch ohne drei Schritt weit vorsich zu sehen". Erst ein längerer Aufenthalt im Engadin gab ihndem Leben wieder. Dem Leben das von nun an nur noch einLeben in Gedanken war. Auf alles Glück hatte der immer An-spruchslose verzichtet, seit der erste Band desMenschlichen All-zumeuschlichen" ihn Wagners Freundschaft, ja jede Schonung vonSeiten der Umgebung Wagners gekostet hatte. Er las, er ging undpflückte in einsamen Spaziergängen die Früchte seiner nie rastendcuGedankenarbeit; dann schrieb er die Aphorismen nieder und ließsie von treuen Freunden zum Drucke besorgen. So entstand diegroße Reihe der eigentlich reformatorischen nach den mehr kritischeuSchriften:Morgenröte" (1881),Die fröhliche Wissen-schaft " (1882),Also sprach Zarathustra (IIII 1883, IVerst 1891 erschienen);Jenseits von Gut und Böse " (1886),Zur Genealogie der Moral " (1887). Mit dem letzten Buchkehrte er wieder wesentlich in die polemische Tendenz zurück, diedann wieder eine ganze Reihe vertritt:Der Fall Wagner"