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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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1870-1880.

ein würdiger Sohn der rastlos schaffenden und jederzeit vollendetenMutter Natur. Und das ist es vor allem, was denÜbermenschen"vom Menschen niederer Art unterscheidet: daß er in jedem Momentmit allen Kräften seines Wesens lebt.Ilis ^vkiols man inustmvvs toZstkör", um ein Lieblingscitat des von Nietzsche sehr hochgestellten Lichtenberg anzurufen. Der gewöhnliche Mensch istimmer eine nur teilweise beschäftigte Maschine. Jetzt arbeitet er;aber während dessen pausiert seine ganze Genußfähigkeit. Jetztschwelgt er aber währenddessen hängen Hand und Fuß schlaffhernieder. Und weiter: selbst während er arbeitet, spielt nicht dasganze Orchester. Der ist etwa Philolog: all sein Wissen, seine ge-schulte Phantasie, seine geübte Anschauungskraft sind auf der Jagd;aber sein künstlerisches Empfinden schläft, statt mitzuhelfen. Nichtso bei dem Übermenschen. Jeder Moment findet ihn gerüstet, mitallen Organen, allen Kräften, aller Anspannung des Wollens, allerLust am Dasein ihn auszukosten, auszumünzen. Nichts geht ihmverloren von diesem höchsten, unschätzbarsten Gut: der Wirklichkeit.Die Realität ist für ihn in ihrer vollen Nundheit da, mit allemLicht und allem Schatten, aller Freude und allein Schmerz; erwill sie nicht bloß abtasten, sondern auch ganz in sich saugeu.Denn sie allein ist das ewig Wertvolle, verloren nie zu ersetzen, mitkeinem Traum in ihrer ganzen wahrhastigen Kraft herzustellen.Und das ist die Aufgabe der künftigen Menschheit: nichts zu ver-lieren von der Wirklichkeit, nichts sich zn versagen vom Genuß deswahrhaftigen Lebens.

Man denke an die Entwickelung, die etwa der Ackerbau ge-nommen hat. Die Urzeit pflückt in unbedachter Hast ein paarÄhren ab; langsam lernt man die Kunst des Pfluges und bleibtjahrhundertelang in der Übung eines oberflächlichen Kultivierensdes Bodens; endlich lernt man mit künstlichen Mitteln ihn frucht-barer machen, mit Maschinen die Saat wirksamer einführen, voll-ständiger, restloser einernten und verarbeiten. Den vollständigenrestlosen Anbau der Wirklichkeit kehrt Nietzsche . Der Übermenschverhält sich zu früheren Typen der Menschheit wie der Besitzereiner amerikanischen Riesenfarm zu dem Buschmann, der ein paarKornähren abrupst.

Man erkennt leicht, wie diese Vertiefung des Begriffs wirklichdie Konzeption eineshöheren Menschen" der Zukunft von Grundaus erneuert. Dieser Mensch soll nicht bloß Arbeiter und nicht