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1880-1890.
nicht; es ermüdet, wie manche naturalistische Einzelheit im Dialog;es verstimmt durch die Absichtlichkeit, wie jene Symbole. Ebensoist der oft „stumpfe" Schluß, das Fragezeichen am Ende realistisch:das Experiment hat eben zn keinem klaren Ergebnis geführt; wiedie menschlichen Komödien und Tragödien zumeist, läßt es sich ver-schieden deuten. Aber dramatisch ist auch dies nicht: die Kunstformverlangt nun einmal eine scharfe Auflösung. Zuweilen giebt Ibsen das auch, wie in „Nora ", den „Gespenstern", „Rosmersholm"; aberauch dann hat der Schluß meist etwas Problematisches, als werdedem Experiment gewaltsam ein Ende gemacht. Nicht immer: „Nora ",die „Wildente", im wesentlichen auch die „Gespenster " sind technischeMeisterwerke vom Anfang bis zum Schluß, glänzend in der Ex-position, zwingend in der Fortführung, wirksam im Abschluß. Abernamentlich die späteren Dramen, nach der Blütezeit in Dresden (1865—1886), zeigen die Nachteile der Einsamkeit: der Autor hatsich zu lange mit seinen Figuren eingesperrt, hat die Welt und dieZuhörer insbesondere vergessen. Bühnenwirksam sind die psychologischund technisch schwächeren Stücke der Zeit vor dem Höhepunkt(„Stützen der Gesellschaft" 1877) mehr als die danach, die aus derMünchener Zeit (von „Rosmersholm" ab).
Langsam hat der große Dramatiker Deutschland erobert.Björnson war längst bei uns berühmt, als Ibsens Name noch inden Nachschlagebüchern fehlte. Seit den „Gespenstern" (1831)begann er bei uns ein Gegenstand des Kampfes zu werden. Die„Freie Bühne" in Berlin (1889 von Brahm, Schlenther, Harden,der dann ausschied, den Brüdern Hart u. a. begründet) hat ihr Haupt-verdienst neben der „Entdeckung" Hauptmanns in dem Wirken fürIbsen . Heute ist über seine Bedeutung ein Streit nicht mehr möglich.Keine Anfeindung kann noch etwas an der Thatsache ändern, daßdie zweite Hälfte unseres Jahrhunderts keine stärkere Dichterkraftgesehen hat als Henrik Ibsen . Wer diese Fülle lebenswahrerGestalten schuf, dem kann keine Doktrin seinen Platz in der Welt-litteratur verschließen, weil er „kein Dichter" sei. Der Schöpferder „Wildente" kein Dichter! Wie viele Poeten gäben wir für diesen„Nichtdichter"!
Aber bei all seiner technischen Meisterschaft, bei der Genialitätfeiner Anschauung, bei der Tiefe seiner Gedanken — das Größtebei Ibsen bleibt doch jene große Sehnsucht. Fördernd ist seineDichtung immer; ein Idealist war der große Realist allezeit, ob ihn