„Friedensfest" und „Einsame Menschen". 839
jeder Mensch sei ein neuer Mensch, aber er wird zaghaft, als derPessimist antwortet, er selbst mit den vom Vater ererbten Zügender Heftigkeit und Unsicherheit widerlege das. Wird die Liebe starkgenug sein, alles zu tragen, zu überwinden, zn besiegen? Wirwissen es nicht; der Dichter selbst stellt sein Experiment ein, sobaldeine Anzahl aufregender Momente, des Vaters Heimkehr und Tod,die Begegnung der Brüder, das Weihnachtsfest, Gelegenheit gegebenhat, die Zustände und die Charaktere anschaulich und ausgiebigvorzuführen. Dies aber gelingt auch unvergleichlich. Der schlimmereBruder vor allem, mit seiner unter Cynismen versteckten heim-lichen Lüsternheit, mit seinem tückischen Neid nnd seiner einge-schränkten Begabung, mit dem Jbsenschen Trotz gegen die „Lebens-lügen", ist eiue glänzend gelungene Figur, der der Vater und dieverbitterte alte Jungfer kaum nachstehen. Blässer sind die sym-pathischen Figuren, die Braut und ihre wackere Mutter. Aberfreilich hätte ihr kräftigeres Hervortreten notwendig zu einem „ver-söhnlichen Schluß" führen müssen, dem der Autor auswich.
„Einsame Menschen" ist eine Genietrngödie wie „Ros-mersholm" und „Hedda Gabler": ein hervorragender Mensch gehtan der Macht der Gewöhnlichkeit zu Grunde. Dieser Typus istdie realistische Verjüngung der alten romantischen Künstlertragödien;aber wenn Tieck, Öhlenschläger , de Vigny mit historischen Berühmt-heiten wie Camoens, Correggio, Chatterton wirken wollen, suchen dieNeuen einen strebenden, suchenden Geist darzustellen, der Reife undRnhm noch nicht erlangt hat. Es ist viel Selbsterlebtes in diesemDrama; das giebt den Seelenschilderungen ihren intimen Reiz, veran-laßt aber auch den Autor, im Zuständlichen diesmal sast ganz steckenzu bleiben. Der Sohn einer frommen Familie hat sich zum Frei-denker durchgeruugen. Er findet nirgends Verständnis, weder beiseiner guten unbedeutenden Frau, uoch bei dem platten MaterialistenBraun, seinem Freund. Er strebt heraus aus diesem Kreis, derihn mit der „torcs invineidls äs 1a kgidlssss«, Flaubert einmal von der Macht einer Mutter auf den Sohn sagt, fesfelt.Aber er hat doch selbst zu viel von der rücksichtsvollen, furchtsamenArt der Seinigen; im Denken und Reden wagt er viel, im Handelnscheut er das Urteil der anderen. Nun kommt plötzlich eine Ver-treterin des rücksichtslosen Individualismus aus der Freiheit insein idyllisches Gefängnis. Es könnte so fortgehen — eine Zeitlangfreilich nur; denn die arme Gattin würde das schuldlose Opfer