Druckschrift 
Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
Entstehung
Seite
843
Einzelbild herunterladen
 
  

Das neue VolkSdrmna,

343

Psychologie des Gesamtorganismus zu erkennen, dem der Einzelneangehört. Es ist daher auch kein Zufall, daß in den Dramender Skandinavier die bewegte Volksscene kaum je fehlt (BjörnsonÜber unsere Kraft", Arne Garborg Paulus" u. s. w.) und daß siesich selbst dem streng isolierenden Ibsen zuweilen anfdrängt (Stützender Gesellschaft",Volksfeind"): je tiefer die Psychologen die Eigen-art des Einzelnen bloßzulegen suchen, desto stärker verlangt auchdas Volk als Hauptfaktor dieser Eigenart angefchant zu werden.

Aber allerdings ist der Kollektivheld ohne Kopf auch nichtvollständig. ImLager" tritt Wallenstein freilich nicht auf, abersein Geist, er selbst ist unsichtbar fortwährend zugegen. Ebensowird bei Shakespeare der König zum verdeutlichenden Hauptver-treter der nationalen Eigenart, oder imPrinzen von Homburg"gipfelt das brandenburgische Wesen in der Persönlichkeit des GroßenKurfürsten. Das große Volksdrama der Zukunft braucht beides:das Volk als Träger der Handlung, den Einzelnen als Trägerdes Gedankens. Dahin weisen auch die Passions- und die Volks-schauspiele. In denWebern " hat die demokratische Geschichts-auffassung, viel mehr noch die Freude an zuständlicher Ausmalungdem prachtvollen Torso des Herakles mit seinen mächtigen Muskeln,mit der lebensvollen Haltung den Kopf versagt; inFlorian Geyer "bleibt der Einzelheld immer noch zu stark in der Masse stecken.Ein Drama brauchen wir, in dem die volle Kraft dieser realistischenVergegenwürtigung des ganzen Volkes zusammen geht mit der gleichwahrhaften und plastischen Ausarbeitung einer führenden Persön-lichkeit: einen realistischer gehaltenenTell" erhoffen wir, einenJulius Cäsar " auf der Grundlage solcher Volksscenen. Erhaltenwir das, so ist eine nene Stufe des Dramas erreicht, die eine neueBlütezeit einleiten mag.

Das also ist nicht eigentlich der Fehler derWeber", daß sie,wie man zu sagen pflegt, keinen Helden haben. Sie haben ihnwohl: es ist der abstrakteWeberheld", wie Schlenther meint,oder ganz konkret die arme schlesische Weberbevölkerung. In immerneuen Typen wird sie vorgeführt, die bei aller lebenswahren In-dividualisierung doch gewisse gemeinschaftliche Grnndzüge erkennenlassen wie die Truppen Wallensteins. Jeder Akt bringtneue Gestalten, neue Bilder, die sich aber alle als Einzelzüge indas Gesamtbild der Kollektivpersönlichkeiten fügen. Nnr ebenwie Johannes Vockerat nicht zu einem Entschluß kommt, so rafft