„Hanneles Himmelfahrt". 847
wendigkeit aus der Seele; aber dies? „Nun du tot bist, blühst duerst so lieblich auf", spricht Gottwald. Der Dichter gleitet hierans dem Traum in das Märchen über; Christus und die Engelwerden aus Visionen des armen Dorfkindes Wahrheiten, wie ineinem Märchen des jugendlichen Gerhart Hauptmann die Marmor-figur lebendig wurde. Das Träumen umfängt auch uns; dieAtmosphäre bestrickt uns. Deshalb empfinden wir einen Mangelder Motivierung, den erfahrene Kunstrichter rügen, das Verschwindender Diakonissin, da sie am Krankenbett am wenigsten fehlen darf— wodurch Hanneles Aufstehen uud Hinsallen erst ermöglichtwird — kaum als Störung, eher als Vorbereitung auf die Geister:
Erscheint! erscheint und mächt sein Herz nicht froh.Wie Schatten kommet, und schwindet so!
Hier wird die Krankengeschichte zur Heilungsgeschichte. Einpoetischer Schein umfließt die arme Märtyrerin. War sie wirklichdes Amtsvorstehers Kind? Der Dichter läßt es unbestimmt, wie esIbsen thäte. Aber sie ist mehr: sie ist ein Kind des Volkes, des ganzen,leidenden, gläubigen, hoffenden, dichtenden Volkes. Mit all seinenWurzeln hat der Dichter dies Blümcheu ausgehobeu — das Erd-reich haftet noch daran, das Armenhaus darf nicht fehlen mitseinem brutalen Elend uud seinem rohen Spaß. Die Sünde darfnicht fehlen, die bei Hauptmann nun einmal fast konventionellimmer als das Laster des Trinkens erscheint: der Bauer Krause,der Vater Scholz, Crampton, der Maurer Matteru — alle ergebe»sie sich deni Trunk. Es ist die typische Verfehlung, die greifbarste,volkstümlichste, die deshalb auch Ibsen fast zu gern benutzt; aberhier ist sie als die roheste, als die Verkörperung gemeinen Ver-langens unentbehrlich, gerade um die Reaktion, Hanneles Erden-flucht, Hanneles Sehnsucht nach dem Dnft des Himmelsschlüsselchens,zu motivieren.
Die Poesie mnß wie jener altberühmte Niese Antäus derSage von Zeit zu Zeit die Erde wieder berühren, um neue Kräftezu erlangen. Das thut sie in Gerhart Hauptmanns Werken; darfman da klagen, wenn an der Hand etwas schwarze Erde klebenbleibt?
Raimunds Märchenpoesie und Anzengrubers Bauernrealismns,tiefste Sympathie mit den Armen und Beladenen und getreue Dar-stellung auch ihrer Schwächen, feinste Scelenergründung und kühnsteErfindung umgeben wie singende Engel das Grab der armen