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1880—1890.
So geringen Erfolg „Florian Geyer " hatte, so ungemessenenerrang die „Versunkene Glocke" (1897). Der theatralische Erfolgwar nur mit dem von Sudermanns „Ehre" (1890) zu vergleichenund ließ selbst den von Fuldas „Talisman" (1892) und Wilden-bruchs „König Heinrich" (1896) sowie den von Hauptmauns eigenen„Webern" (1892) zurück — den stärksten „Schlagern" der neuerenZeit; daneben ging noch eine bnchhändlerische Verbreitung, wie sieDramen kaum je erleben (1898 die 37. Auflage!). Vielleicht kannaber gerade dieser Erfolg ein wenig bedenklich stimmen.
Wie kam Hauptmann dazu, ein Märchendrama zu schreiben?> Er hat als Kind gern Märchen gelesen, auch selbst eine Pyg-malion-Fabel verfaßt. Wohl, aber das sind weit zurückliegendeEinflüsse. Eine Rücksicht auf die Mode wird man dem gerade undstill seines Weges schreitenden Manne nicht zutrauen. Ich glaube,von „Hannele" finden wir am leichtesten den Weg zur „VersunkeneuGlocke". Bei seiuen mittelalterlichen Studien hatte sich Hauptmannliebevoll in die bildende Kunst vor allem Altnürnbergs versenkt.Das Sebaldusgrab zumal hat es ihm angethan: wieder traf hierder moderne Realist mit Tieck und Wackenroder zusammen. Auchihm wurde der mittelalterliche, ganz in seinem Knnstleben aufgehendeBildner zum Typus des Künstlers überhaupt. Er versetzt sich inseine Gedankenwelt. Der Mißerfolg des „Florian Geyer " regt neueGedankenketten an: der Konflikt des Künstlers mit der Zeit, desNeuerers mit seiner Umgebung — schon von Gutzkow in „MahaGuru" zur symbolischen Behandlung allgemeinster Fragen benutzt— wird in jene Zeit übertragen. Nun sucht sich Hauptmann dasSeelenleben des alten Künstlers zu vergegenwärtigen; diesmal aberweniger durch tiefe Studien als durch Divination, durch ein Über-setzen der eigenen Empfindungen. Um das geistige Leben des Mittel-alters zu schildern, bedarf er des Geisterglaubens. Der Künstler,der an den Kirchthüren und Kirchgestühlen gern seine wuuder-lichen Bildungen anbringt, Jdealgestalten, halbtierische Köpfe, mensch-gewordene Arabesken — man denke an Dürers Gebetbuch KaiserMaximilians! — sieht im Geist diese Schöpfungen seiner Phantasieleibhaft vor sich. Nun aber — schon in „Hannele" überstiegen dieTranmgeschöpfe zuletzt die Grenzen der vierten Dimension undwurden als Wirklichkeiten empfunden. Hier geschieht das durchweg.Der Nickelmann, trotz seinen aristophanischen Ursprüngen auch gutmittelalterlich, der lebendig gewordene Wasserspeier einer gotischen