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Kirche; oder Rautendelein, Rot-Ännchen, eine schlesische Elfe undgleichzeitig eine Verkörperung der lockenden, sinnlichen, andachtsfeind-lichen Reize der Schönheit — sie sind jetzt so lebendig, so konkretwie der Glockengießer und seine Familie.
Das Drama ist eine Art von Quintessenz aus allen DramenHauptmanns . Das Hauptmotiv — der strebende Geist zwischen All-tag und Ideal — ist bis in manche Einzelheiten hinein eine Wieder-holung des Problems der „Einsamen Menschen"; auch der mahnendeGeistliche als Vertreter des Alten kehrt wieder. Die Zeitstimmungteilt das Stück mit „Florian Geyer ", den Märchenton mit „Hannele".Die starke Benutzung von musikalischen Leitmotiven, eine Erbschaftaus dem alten Volksstück, war schon in dem historischen Weberliedder soeialen Tragödie angebahnt; auch im „Florian Geyer " dientdas Singen von Liedern als Hilfsmittel zur Verauschaulichuug derStimmung. Die Vernachlässigung der so zu sagen „rein bürger-lichen" Figuren erinnert an „Crampton", das Behagen an allerleiSchabernack im Waldschrat an die Diebskomvdie. Die alte Wittichen spricht schlesisch, wie in den „Webern " und in „Fuhrmann Henschel"gesprochen wird. Und die ausführliche Beschreibung scenischer Ge-mälde wie vor dem vierten Akt ruft die scenische Lyrik des Erst-lingsdramas in das Gedächtnis zurück.
Goethe hat auch einmal ein Drama geschrieben, in dem fort-während Anklänge an frühere Arbeiten vorkommen: „Stella". Undes ist auch dasjenige, in dein aus fremden Werken die meistenReminiscenzen begegnen. Ebenso war es den Kritikern leicht, ans der„Versunkenen Glocke" jetzt die „Frösche" des Aristophanes — dieHauptmann in Jena mit großem Vergnügen gehört hatte — jetzt den„Sommernachtstraum", jetzt den „Faust ", jetzt das Märchen vomThränenkrüglein herauszuhören. Wie kommt es, daß zwei sonst soselbständige, so originelle Dichternaturen einmal ein Werk schmieden,das aus lauter Stücken anderer Glocken gegossen ist? Ichglaube, bei „Stella" wie bei der „Versunkenen Glocke" hat esdie gleiche Ursache. Das persöuliche Problem beschäftigte denDichter so stark, daß ihm das künstlerische Nebensache wurde.Ein verwandtes Problem obendrein: der unstete Mann zwischenzwei Frauen, deren einer er durch Pflicht gehört, der andern ausNeigung.
Jedenfalls — der Dichter ist hier selbst Heinrich der Glocken-gießer. Unsicher steht der sonst so feste Meister da. Er schwankt