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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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1880-1890.

hin und her zwischen dem Symbolismus, der sich an die Glocke knüpft,das Sinnbild des versunkenen großen Dramas, und dem realistisch-freudigem Ausmalen der Zustände dieser Geister- und Menschen-welt. Er schwankt zwischen Sympathie mit der armen verlassenenFamilie und Befürwortung der künstlerischen Herrenmoral. Sokommt überall ein unklarer Ton in das Ganze, der in der einengroßen Rede Heinrichs direkt zur Phrase führt. Die drei Becheram Schluß sie dürften verständliche Symbole sein, dürften reinmärchenhafte Stimmungsmittel sein, wie etwa bei Maeterlinck ; abersür die eine Wirkung sind sie nicht genügend mit lyrischem Reizausgestattet, für die andere bleibt ihre Bedeutung zu unklar.

Kritiker, die bis dahin Hauptmann bekämpft hatten, wie dengeistreichen Ludwig Speidel in Wien , hat die Poesie der Märchen-gestalten erobert. Ich kann nicht leugnen, daß auf mich Fouaucsstille Undine und selbst Andersens arme kleine Seejungfrau stärkereuEindruck machen als Nautendelcin. Der Nickelmann und der Wald-schratt ja das sind Prachtschöpfungen; aber ihresichere Gegen-wart" stellt die unsichere Zeichnung Heinrichs nur noch mehr insLicht. Bezaubernde Verse begegnen, bestrickend wie Elfengesang;wir haben keinen Realisten, der sie - sonst noch singen könnte.Aber die Glocke selbst tönt nicht hell und voll, nur dunkel aus demMeeresgrunde hören wir ihren Klang; verwirrt irrt ihm der Meisternach und läßt uns in Verwirrung.

Mit demFuhrmann Henschel" (1898) schien Hauptmann wieder ganz in die Bahn seiner ersten Dramen einzulenken: einschlesisches Dorf, naturalistische Krankheits- und Wirtshausscenen,Dialekt, Fernhaltung jedes idealisierenden Moments. Dennoch bedeutetdiese Tragödie einen sehr wesentlichen Fortschritt. Zum erstenmal giebtHauptmann wirklich statt bloßer Zustandsschildernng Entwickelung.Vielleicht war dieVersunkene Glocke" nötig, damit er sich zu einerHandlung" im dramatischen Sinne erzog: vielleicht mußte die Ent-wickelung sich ihm erst in der Märchenfigur Rautendeleins, dieHeinrichs Schicksal wird, objektivieren, ehe er in die Seele einer Ge-stalt fortschreitende Bewegung einführen konnte. Helene, die FamilieScholz, Crampton, Hannele, Florian Geyer bleiben, was sie sind; wiein den Dramen von Holz und Schlaf offenbart sich nur ihr Wesenuuter dem Zwang der Umstünde immer deutlicher. Bei dem Fuhr-mann zuerst hat Hauptmann versucht, auch die leise fortschreitende,fast unmerkliche Veränderung des Organismus vorzuführen. Die