862 1880—1890.
Die Sache war an sich bedenklich gcnng. Überflüssig war es,daß Sudermann sie durch ein Anstreichen mit den grellsten Farbender erotischen Verkommenheit noch vergröberte. Konventionell wienur je eine Schilderung Neros durch die klassizistischen Epigonen wardies Gemälde der Decadence im Berliner Tiergartenviertel: „nsovir tortis nso ksinir.g, oastg,", wie ein Historiker der römischenKaiserzeit sagt. Diese Typen sind viel zu Sudermannisch, um ge-meingültig — oder um individuell zu sein: Frau Adah, bei ihrenleidenschaftlichen Allüren kalt „wie eine Hundeschnauze", gleich derCirce in „Es war"; das furchtbare junge Mädchen aus guterFamilie, .äenn-visrAs« mit unverdorbenem Herzen und unanstän-digem Mundwerk; endlich auch Willy selbst, dessen verbrauchtem,zerfressenem Naturell man so viel hitzige Leidenschaft nicht mehrzutrauen kann. Jede von diesen Seelen hat ihr konventionellesVorderhaus und ihr naturalistisches Hinterhaus, aber die beidenverkehren nicht miteinander. Der Autor läuft von vorne nachhinten — wo er sich länger aufzuhalten pflegt — und läßt sichdem Publikum gegenüber durch die Mahnreden des braven Pro-fessor Niemann vertreten, weil er selbst keine Zeit hat, die Figurendeutlich sprechen zu lassen. Als Hilfsmittel gebraucht auch er,wie Ibsen, wie Helene Böhlau , das Symbol: das Gemälde WillyJanikows wird sinnbildlich in den Hintergrund gestellt und vonZeit zu Zeit wird der Vorhang gelüftet. Dann müssen wir mitden Beschauern gestehen: eine große Begabung, packende Effekte,originelle Auffassung; aber Gerhart Hauptmann müßte dann dochanch kopfschüttelnd wie Riemann sagen: ich kann das nicht — undwenn ich es konnte, möchte ich es nicht machen.
Der Mißerfolg des Stückes war wohl aber mehr durch deukrassen Ton als durch die Kunstfehler verschuldet. Denn die„Heimat" (1893), die künstlerisch viel niedriger steht, hatte wiedereinen ungeheuren Erfolg. Dies Drama gehört bereits der mo-dernen Weltlitteratur an; die Duse hat es italienisch gespielt undandere berühmte Schauspielerinneu französisch, englisch, russisch. Estrug den Namen seines Verfassers in Gegenden, in denen der NameGoethes ein bloßer Schall ist, etwa wie der des Aischylos , und diedeutsche Dramaturgie gewann mit diesem Stück der bis dahin alleinregierenden französischen den ersten Platz ab. Die Buchausgabeüberholt die Verbreitung von Hauptmanns schwächstem und be-rühmtestem Werk (^1. Auflage 1L98). Kulturhistorische Bedeutung