„Heimat",
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wird danach niemand dem Drama abstreiten dürfen. Der indi-vidualistische Künstlerstolz, den die berühmte Sängerin vertritt, wardweithin als Vorbote einer Rettung aus den drückenden engen Ver-hältnissen socialer Vorurteile und kleinstädtischer Gewohnheiten be-grüßt. Die Tendenz auf intensives Erobern des Lebens war indieser rhetorisch-sentimentalen Paradefigur gemeinverständlich ge-macht; und zugleich verriet Magda, die liebevolle Mutter ihresKindes, so viel Gemüt, daß man an den harten ÜbermenschenNietzsche nicht erinnert wurde. Und so pflückte das schlechte Dramadie Früchte, die Ibsens tiefe Werke und Nietzsches tiefe Schriftenangepflanzt hatten. Aber mit der Kunst hat dies Effektstück mitseinen Pistolenkästen und Schlnganfällen, seinem schlangengewandtenRegiernngsrat — Schillers Sekretär Wurm und Hebbels SchreiberLeonhard sind mit Recht avanciert — und dem Pastor aus Ibsens „Gespenstern", mit seinem Abküssen der armen kleinen Schwesterdurch die große „iu glänzendem Gesellschaftskostüm, einen weitenMantel darüber — einen spanischen Schleier über das Haargeworfen", und anderen schönen Momenten nichts zu schaffen.Wären nicht in der vortrefflichen Empfangsscene die Damen desKomitees knapp und sicher gezeichnet, man könnte glauben, derKünstler sei hier ganz in dem geschickt kombinierenden Bühnentech-niker und Rhetor untergegangen.
„Die Schmetterlingsschlacht" (1894), eine kleinbürgerlicheKomödie mit guter Zeichnung des Milieus und heftigen! Mißbrauchdes Symbols, war viel besser; sie hatte in Wien großen, aber inBerlin gar keinen Erfolg. Das „Glück im Winkel" (1895), indem Sudermann nach Steigers Ausdruck „der Theaterwut derkleinen Leute einen rohen Junker zum Verspeisen vorwarf und einenwaschlappigen Dulder von Schulmeister als Helden verherrlichte",hielt sich wieder mit Glück auf den bösen Wegen der „Heimat"und erntete die Lorbeeren Kotzebues , Man konnte glauben, derDichter Sudermann sei tot, der Praktiker habe ihn erschlagen.
Da kam Plötzlich ein scheinbar ganz anderer Sudermann . Erbrachte historische Tragödien, historische Scherzspiele, Märchendramen.Große ernste Wirkungen schien er zu erstreben statt der Theatereffekte.Und der Schein trog nicht: wirklich war es eine Vertiefung, wirklicheine Abkehr von bequemen Wirkungen, was die neuen Stücke vonden alten unterschied. Der Ehrgeiz spielte wohl mit. Vielfältigbemühte man sich wieder um das „große „Drama": „Floriau Geyer"