„Morituri".
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auffassung des Vaters treibt ihn in die Welt konventioneller Ehr-begriffe, in die er nicht paßt. Das Problem von Sudermanns erstem Drama erneut sich; die rohe Mißhandlung des „Satis-faktionsfähigen", die in den Roman „Es war" unpsychologisch undnnkünstlerisch hineingeworfen war, um die Hitze der Erregung nochzu steigern, wird hier zum tragischen Erlebnis: verloren ist Fritz-chen so und so, nur die Angst bleibt ihm noch, ob er mit Ehrensterben kann. Und auch ihm geht nun erst mit voller Deutlichkeitauf, welch stilles friedliches Glück in der Heimat er sich verscherzthat. — Der ruhmgekröute Marschall am Hofe der galanten Königinbetrügt sich selbst mit dem Glauben, die Fürstin liebe seine helden-hafte Erscheinung; der ironische Künstler, zum Kampf auf Lebenund Tod herausgefordert, läßt ihn fehen, für welchen Trug undTand er sein Heldenleben aufs Spiel setzt. So ist es allemal dieWahrheit, die siegt — aber fast immer zu spät. Zwar das „Ewig-Männliche" wird ein leidlich graziöses Spiel in Versen; aber„Teja" wird eine kurze historische Tragödie, trotz manchen Stil-losigkeiteu nicht ohne ernste Wirkung gesammelter Kraft, und „Fritz-chen" wird das reifste und vollendetste Werk, das Sudermann ge-glückt ist. Die kranke Mutter und der übergesunde Vater sindnicht des Effektes wegen einander gesellt, sondern als Bedingungenfür das Schicksal des Sohnes. Nicht das Duell, sondern die kon-ventionelle Anschauung vom „Austobeulassen der Jugend" greiftder Verfasser an: was dem robusten Vater natürliche Nahrungwar, ist für den angekränkelten Sohn Gift. Gebrochen kehrt erheim und hat nur noch die Form des Todesurteils abzuwarten.Sudermanns hastig flackernde Erfindungsgabe ist hier in denDienst eiues streng dramatischen Konflikts gestellt; die Umgebung,prachtvoll veranschaulicht, ist ebenfalls der Haupthandlung dienst-bar. Ein wenig Sentimentalität läuft mit; aber hoch erhebt sichdoch der Tod des armen jungen Offiziers über all die Kinder-thränen, die der bethlehemitische Mord der unschuldigen Kinder inder modernen Litteratur hervorzwingt, wenn die Kinder des schwarzenHauptmanns (bei Wildenbruch ) und Linchen Selicke und Paulchen(in Sudermanns „Es war") und des Bäckerlehrlings „Chrischtkind"(bei Helene Böhlau ) sterben und sogar der arme lahme Junge im„Verbot" der Frau v. Ebner stärker an die Thränendrüsen appelliert,als ihre vornehme Kunst es sonst duldet.
„Johannes" (1898) rief noch größeres Erstaunen hervor.
Meyer, Litteratur. 55