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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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13801890.

Hermann Sudermann auf den Pfaden Hebbels ? Der Autor vonSodoms Ende" beschäftigt sich mit dem Vorläufer des Messias ?Wie kommt Saul unter die Propheten? Merkwürdig rascheinigte man sich aber über ein Urteil, das mir durchaus zutreffendscheint. Man erkannte willig an, daß Sndermann hier ein großesProblem mit Ernst und Tiefe angegriffen habe, man bewunderte dieKunst, mit der die Zeitstimmung vergegenwärtigt werde, aber mansah das Drama als Ganzes wieder scheitern an Sudermanns größter Fehlerquelle: der Überfütterung mit Effekten.

DieTragödie des Vorläufers" liegt einer nach neuer Kunstund neuem Leben dürstenden Zeit nahe. Gutzkow faßte seinenUriel Acosta als Vorläufer Spinozas auf; Wildenbruch hat dasProblem wiederholt behandelt: Marlowe unterliegt dem größerenDichter, den er verkündet, Shakespeare ; der Generalfeldobrist ver-kündet die Zeit des Großen Kurfürsten, die er nicht erleben soll.Das Motiv läßt eine doppelte Behandlung zu: daß der Vorläuferscheitert, kann Schuld der Zeit sein oder seine eigene Schuld.Posa stirbt, weil die Zeit noch nicht reif ist; Marlowe , weil ernicht bis zum Gipfel steigen kann. Sudermann nun konnte es sichnicht versagen, beides zu kombinieren. Johannes der Täufer unter-liegt vor allem, weil die Zeit aus ihren Fugen ist nnd er sie ein-zurichten kam. Daher fällt der Autor hier wieder in die breiteZustandsschilderung zurück, die übrigens meisterhaft gelang. Sopointiert auch die Juden und die Fremden der messianischen Zeitreden die Wahrscheinlichkeit bleibt immer gewahrt und die ver-lockende Absichtlichkeit der Selbstcharakteristiken in Hebbels Holo-fernes" wird gemieden. Lebensvolle Bilder werden aufgerollt.Deun hier fühlt sich der Verfasser gauz zu Hause: es handelt sicheben auch hier um ein untergehendes Sodom. Die maßlose Laster-haftigkeit derführenden Kreise" hebt sich von der Gesetzes-strenge der Pharisäer und Zeloten nur um so greller ab; allesist Herodes wertlos ueben der Krone, auch seiner StieftochterEhre, alles ist Herodias ihrer Eifersucht und ihrem Ehrgeizzu opfern geneigt wieder eine jener kalten Seelen mit leiden-schaftlichen Gesten, die Sndermann liebt. Das Volk ist reifzum Untergange; zerfressen von Parteien, gedemütigt, zwischen derSklaverei desGesetzes " und dem Hochmut des Pharisäerstolzeshin und her geworfen, hochmütig und unfrei zugleich. Und alsokann der Tänfer an diesem Volk seine Sendung nicht erfüllen.