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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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18801890.

volles JugendgedichtWillkommen und Abschied "; die vielen unddoch einheitlich zusammenstimmenden Anregungen vermitteln uns un-fehlbar den Seelenzustand, in den sie ihn selbst einst versetzten.Je allgemeiner der Eindruck umschrieben wird, desto schwächer, je be-stimmter, desto nachdrücklicher wird die Wirkung auf den Hörer sein.Darin liegt die Kraft von Isolde Kurz in ihren wunderbarenTotenklagen. Die Vorstellung vom Tod einer geliebten Person istuns allen eine gewohnte; soll eine Empfindung hervorgerufen werden,die über die übliche Kondolenzstimmung hinausgeht, so müssen dieeinzelnen Eindrücke gegeben werden, aus denen jener Gesamteindrucksich zusammeusetzt: das Mitfühlen mit dem in kalter Erde Schlafen-den, die Erinnerung an eine Umarmung, das verletzende Vergessenvon Seiten der Umgebung. Jedes wird für sich ein erregendesMoment, löst für sich Stimmung aus jedes wird ein Gedicht.

Detlev v. Liliencron (geb. 1844: Gedichte 1889, 1893;Auswahl 1896) löst ebenfalls den erregenden Moment in seinepsychologischen Bestandteile auf; aber er behandelt sie nicht jedenfür sich, wie Goethe und Isolde Kurz , fondern er läßt sie inrascher Folge an uns vorbeiziehen, wie Heine. Die rasche Folge dieserkleinen Eindrücke wird aber in unserer Vorstellung znr Ein-heit, wie das Bild im Lebensrad oder im Mutoskop, ans lauterMomentbildern zusammengesetzt, von uns als einheitliche Entwickelungaufgefaßt wird. So dichtet Liliencron . Die unablässige Folge dermit größter Schärfe aufgenommenen Momentbilder (etwa in demGedichtZwei Meilen Trab") erweckt in uns eine bestimmte einheit-lich lyrische Stimmung, wie sie im Dichter selbst entstand:

Es sät der Huf, der Sattel knarrt,

Der Bügel jankt, es wippt mein Bart

In immer gleichem Trabe.

Ein grünes Blatt, ich nahm es mit,

Das meiner Stirn vorüberglitt,

Im Trabe, Trabe, Trabe. . . .

Hut ab, ich nestle wohlgemut,

Hut auf, schon sitzt das Zweiglein gut,

Ich blieb im gleichen Trabe.

Und wohlig weg im gleichen Maß,

Daß ich die ganze Welt vergaß

Im Trabe, Trabe, Trabe.

Die unbekümmerte Stimmung eines sorgenlosen Ritts in frischerLuft teilt sich uns mit; jedes Augenblicksbild, klar umrisfen, mit