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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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1890-1899.

licher Gedanke, ganz aus dem Gedankenkreise jener Zeit, als derenProphet ja doch einmal Nietzsche gelten wird; eine Art fort-währenden Bekenntnisses zur Freude an der Buntheit des Lebensselbst, an seinem schelmischen Spiel und seinem packenden Ernstsollte abgelegt werden. Noch mehr Glück machte der scharfe,magere, einseitige Gegenpart derJugend", derSimplicissimus"(1896 s.). Man kann dies als Tendenz der merkwürdigen Zeit-schrift bezeichnen: dem deutschen Volk in bitterstem Hofnarren-ton immerfort seine Ideale vorzuhalten. In der That! seineIdeale! idealistisch durchaus ist der bittere, zuweilen auch schäd-lich-giftige Spott dieses Blattes. Der geniale Zeichner zumal,der ihm seine Eigenart aufprägt, Th. Th. Heine, ist erfüllt vondem Glauben an die alten Ideale der Deutschen; und seineBilderaus dem Familienleben", deren Hohn auf sentimental-idyllischeScenen sicherlich oft über das Ziel hinausschießt, ist nicht anderszu deuten, als Jahns Zorn über weichlichesVerliegen" der Deut-schen , als Wolfgang Menzels Wnt über die Förderung, die Goetheder weibischen Erschlaffung der Zeit" durchseine süße Rede"gönne. Der übertreibende nnd daher schließlich monotone Haßgegen den Militarismus widerspricht dem nicht, weil nicht dieVorbereitung auf den Kampf gescholten wird, sondern der Dünkelgewisser Kreise und die Unterwerfung anderer unter diesen Hoch-mut. In anderen Dingen erinnert die heftige Kritik desSim-plicissimus" an die der romantischen Zeit: der Staat als Götze,die konventionellen Anschauungen über Sitten und Moral, derGeschmack deS Philisters werden vom Standpunkte des Individua-lismus aus gegeißelt.

Es ist der Geist einer scharfen Kritik, aber einer auf positiveZiele konzentrierten, der diese Zeit erfüllt. Aufbaueu will dieschonungslose Kunstkritik wie die strenge Zeitkritik. Das merk-würdigste Zeugnis für diesen Grundzug des Jahrzehnts steht amEingang dieses Zeitraums: das BuchRembrandt als Er-zieher. Von einem Deutschcu" (1890). Der Autor, ein frühererArchäolog Namens Julius Langbehn , hatte sich nicht genannt;der Reiz des Geheimnisses steigerte noch die märchenhafte Wirkungdes Buches. In drei Jahren erschienen 42 Auflagen; eine Zeit-lang sprach man von nichts anderem. Parodien regnete es, Nach-ahmungen, Streitschriften; dann wurde es still. Heut ist das Buchschon fast ein Mythus geworden;, man kennt es nur noch vom Hören-