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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
Entstehung
Seite
899
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Arthur Schnitzler. ggg

Die für Schnitzler am meisten charakteristische Form ist diezwischen Novelle und Drama vermittelnde der dialogischen Novel-lette. Es ist eine echt französische Erfindung, die mit ihren Wurzelnfreilich tief ins Mittelalter hinabtaucht, aber erst unter dem Juli-königtum durch Henri Monnier (,8cönss populaii-ks« 1836) ihrefeste Gestalt erhielt und unter der dritten Republik vor allen durchGyP (^utour äa mg,riaAö°), dann später durch einen ganzenStab talentvoller(^useurs- wie Droz, Prevost, Lavedan, Hervieu,Jeanne Marni klassische Vertretuug fand. In Deutschland ist dieGattung wenn man von Glaßbrenner und den Witzblätternabsieht merkwürdig spät eingeführt worden; der ernste philo-sophische Dialog ließ diesen frivolen Nebenbuhler nicht aufkommen,und vor allem war die Kunst der Causerie in Deutschland noch zuwenig entwickelt, um diesen kleinen Meisterwerkchen dienen zukönnen. DieCauserie" verhält sich zumDialog" wie derEssay" zurAbhandlung": aller Zwang, alle fühlbare Absicht mußverschwinden; jeder neue Satz muß eine Überraschung sein unddas Ganze doch einen einheitlichen Eindruck hinterlassen. VorläuferwieRamcaus Neffe" von Diderot , durch Goethe iu unsere Litteratureingebürgert, siud immer noch zu schwer; es wird im Wortgefechtzu viel Dampf entwickelt, während jetzt mit rauchlosem Pulver ge-feuert wird, so daß die Gesichtszüge jeden Augenblick bis in jedeFalte hinein sichtbar bleiben. Damit wir uns diese Form aneignenkönnten, waren manche Voranssetzungen zu erfüllen: Schulung imnatürlichen Dialog, wie sie das realistische Drama brachte; Übungim Zusammenschieben, wie sie durch die ,skort> stor^" aufkam;Interesse des Publikums für das liebenswürdige Gedankenspiel.Man sollte eine Gattung nicht unterschätzen, deren bloßes Vor-handensein eine reife, vielfach selbst überreife Kultur voraussetzt.

Nur in Wien konnte diese Form in deutscher Sprache auf-blühe». Nur in Wien hat sich aus der Tradition des Rokoko herdie Kunst der eleganten Plauderei erhalten; in dem nicht realistischen,aber doch relativ natürlichen Dialog der Volksbühne, in der un-gebrochenen Macht des Feuilletons, in der Existenz wirklicherSalons" waren hier Vorbedingungen gegeben, die im übrigenDeutschland fehlten. Jene Salons etwa der Frau von Wertheim-stein, iu denen Bauernfeld den Mittelpunkt geistreich pointierterUnterhaltungen bildete, stehen am einen Endpunkt der Entwickelungs-reihe, am anderen dielitterarischen Cafes" wie das (von Leo Hirsch-

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