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1890—1899.
ragende Nebenbuhler in unserer Zeit: Wilbrandt in „HermannJfinger" — und zwar ebenfalls mit Münchener Modellen — undRudyard Kipling in ,?lis l-ANt ttmt taileä". Aber nur beiSiegfried wächst aus dem Münchener Künstlerleben unter dembelebenden Hauch des eben erblühenden Kunstfrühlings die Ge-stalt des Haupthelden organisch heraus; die Stimmung verdichtet,sich zu dieser sprechenden Seele. Modelle haben geholfen: nebenAnselm Feuerbach schwebte dem Verfasser wohl Stauffer-Bern vor, der Maler, Radierer, Bildhauer, sein genialer Landsmann,dessen zur Beurteilung unseres Kunstringens unschätzbare BriefeOtto Brahm allerdings erst später (1892) herausgab. Aber dieModelle haben auch geschadet. Statt Tino Moralt auf seinemGebiet zu halten, läßt Siegfried ihn (wie FeuerbaG auch Schrift-steller werden und hier ebenfalls scheitern. Dadurch wird auch dieanfängliche Thätigkeit Moralts in die fatale Beleuchtung desDilettantismus gerückt, um so mehr, als er gar noch Virtuosauf dem Klavier ist. So verschiebt sich das Problem: was dieTragödie des strebenden Künstlers werden wollte, wird zur Tragödiedes Dilettanten. Das Buch bricht in zwei Stücke.
Allerdings ist der zweite Teil an sich wieder ausgezeichnet.Mit unheimlicher Genauigkeit wird Schritt für Schritt der be-ginnende und anwachsende Wahnsinn geschildert, bis zu den letztenSymptomen: Hallucination, Doppelgängerei, Verlust des Gefühls fürRhythmus, Einbüßen der moralischen Empfindung, Zerstörungslust.Gleichzeitig bietet Moralts Einsamkeit Gelegeuhcit zu Naturbeobach-tungen von ganz wundervoller Feinheit. Wie der Dichter durch dieAugen des Malers die Wolkenform studiert, das bietet zu Hamletsund Fausts Wolkendeutungen ein nicht unwürdiges realistischesGegenstück; und geradezu symbolisch für die moderne Kunst derAnalyse, das Fließende selbst in seiner leisen Bewegung zu zer-legen, ist Moralts Verfolgung einer einzelnen Welle im Bach.
In feinen nächsten Büchern („Fermont" 1893, auch in derForm von jenem Nachlaßband Stauffers abhängig; „Um der Heimatwillen" 1897) und der gemütvollen Erzählung „Grittli Brnnnen-meister" (1899), hat Siegfried die Höhe seines Erstlingswerks nochnicht erreicht. Einen Roman großen Stils ist er uns noch schuldig —trotz der großen Anläufe im „Moralt", trotz der fest geschnürten Hand-lung und der wunderbar anschaulichen Zustandsschilderung in „Umder Heimat willen". Ein Roman großen Stils gelang in unserem