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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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Ricarda Huch . 909

Zwei oder drei kleine Episoden nehmen wir aus, zu denen Gott-fried Kellers Vorbild verleitet hat: so die anmutig erzählte, aberinhaltlich überflüssige Geschichte von der russischen Studentin.Immerhin hilft auch sie der Ökonomie, indem sie Ludolfs Jugend-geschichte etwas dehnt; die großen Haupterlebnisse ständen sonst aufzu kurzen Beinen.

Ricarda Huchs Meisterwerk:Erinnerungen von Ludolf Ursleudem Jüngeren" (1893) ist nicht, wieTino Moralt", der Erst-ling. Zwei Dramen waren vorangegangen: ein historisches Lust-spielDer Bundesschwur" (1891, unter dem PseudonymRichardHugo ") und ein historisches DramaEvoö", das sich mit Hofmanns-thal AnfangswerkGestern" mehrfach berührt. Das Lustspiel istnur eine Vorübung; in der willkürlich bewegten Handlung erinnertes an Spittelers Anfaugsstück, denParlamentär", ist ihm aberan kraftvoller Charakteristik weit überlegen. Allzu viel Hand-lung macht auch das RenaissancedramaEvoiz" (1892) unüber-sichtlich, dessen gelungenste Figur eine kräftige selbständige Frauen-rolle, Emilia Massimi, bildet.Evoiz" ist die Ouvertüre zu RicardaHuchs Hauptwerken. Der Kampf zwischen Schönheitsbedürfnis undErkenntnis ist der Gegenstand. Bernardo, der Asket, hat die Wert-losigkeit des Lebens eingesehen. Aber wie Goethe gegenüber demPessimismus Jean Pauls und Schopenhauers betonte, der Wert desLebens hänge von uns ab, uns sei es gegeben, dem AugenblickDauer zu verleihen, so kämpft gegen den Heiligen das weltfroheRom Leos X. , Peregrino vor allen, der in künstlerischem Ausschöpfeujeder Stimmung glückliche Lautenspieler, und die kluge alte Emilia.Es lohnt sich zu lieben,

denn selbst LiebcswehFelicia kennt cs ist, wie eine WundeVon allzu wilden Küssen, süß zu dulden.

Sie messen ihre Kräfte, der Heilige und das Genie, roman-tische Figuren beide; doch den Sieg trägt die Freude an der Weltdavon:Evoe! Evoe! Heilig ist der Rausch, das Versinken iu Gott!"und zum Schluß:

Der Toten eingedenk begrüßen wirDas Leben!

Das Leben aber, das gemeint ist, muß von künstlerischer Kraftdurchdrungen sein; und von Kraft in jedem Sinne. Denn einKampf mit dem Schicksal ist jede Existenz Ricarda Huch hat