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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
Entstehung
Seite
922
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922 , 18901899.

machen. Dennoch gelingen hier Bilder, so ganz von einer fast ein-zuatmenden Luftschicht umgeben, so unnatürlich täuschend, daß wiruns selbst angesteckt fühlen und die Empfindungen dieser krankenSeele etwa beim Anblick einer eigenartig schönen Frau sich aus unsübertragen. Das liegt in der Ehrlichkeit, mit der Andrian denGlauben seines Helden, seiner Zeit teilt: den Glauben andiekönigliche Verschwendung des Daseins", an dasFest des Lebens".Freilich, ihm fehlt die Energie, dies Leben zu ergreifen, uud soentgleitet" ihm doch seine Schönheit. Der Held stirbt, wie DominikimMondreigen", ohne das Geheimnis des Lebens erkannt zuhaben:Weltgeheimnis ist die Schönheit".

Es ist verliebt in das Leben, allzu verliebt", sagt Hofmanns-thal von einem anderen Buch der Wiener Romantik:Wie ich essehe" (1896) von Peter Altenberg (geb. 1862 in Wien ). Erweiß diese Sammlung kleiner Stimmungsbilder reizend zu loben:das Bnch sei mit süßen kleinen Dingen angefüllt wie ein Obstkorb; essei süßer Reise, spielender Freiheit voll. Er giebt doch selbst auch zu,daß etwas darin liegevon der altklugen Koketterie der Andersen-schen Märchen". Für mich ist dieser letztere Eindruck der stärkste.Eine krankhafte Asiektation finde ich in dieser nachgemachten Kinder-sprache mit ihren kleinen Pnppenstubensätzchen; und dazu die un-gesundeste Prätention. Die einfachsten Eindrücke sollen aufgerufenwerden; aber dem Dilettanten wird wieder das Mittel zum Zweck.Was er will, gesteht er selbst mit eitler Paradoxie:Ich möchteeinen Menschen in einem Satz schildern, ein Erlebnis der Seeleauf einer Seite, eine Landschaft in einem Worte". Die Kon-zentration wird Selbstzweck. Auf möglichst engem Ranm soll einmöglichst großes Quantum von Lebens-Warenproben aufgestapeltwerden.Denn sind meine kleinen Sachen Dichtungen? Keines-wegs. Es sind Extrakte! Extrakte des Lebens. Das Leben derSeele und des zufälligen Tages, in 23 Seiten eingedampft, vomÜberflüssigen befreit wie das Rind im Liebigtiegel! Dem Leserbleibe es überlassen, diese Extrakte aus eigenen Kräften wieder auf-zulösen, in genießbare Bouillon zu verwandeln, aufkochen zu lassenim eigenen Geiste, mit einem Wort sie dünnflüssig und verdaulichzu machen." Man sieht, die Arbeitsteilung der Impressionistenwird hier zum Prinzip erhoben: derDichter" giebt die Anregung,den Stoff; der Leser mag das Gedicht dazu machen!

Zwar ein richtiges Gefühl lag im Hervorheben der Kürze, die