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Die deutsche Litteratur neunzehnten Jahrhunderts / Richard Moritz Meyer
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928 18901899.

George gilt Dürers Wort von der Natur: in ihr steckt wahrlich dieSchönheit; wer sie herausreißt, der hat sie. Hofmannsthal dagegenhat Liebhabereien, bevorzugt bestimmte, besonders lyrische Eindrücke:

Das macht so schön die halbverwehtcn Klänge,So schön die dunkeln Worte hoher DichterUnd alle Dinge, denen wir entsagen. . .

Er verwendet gern die Strophengebilde der italienischen Re-naissance: Stanzen, Terzinen; überhaupt zieht es ihn, den Süd-deutschen, stärker noch zu südlichen Gefilden als den mitteldeutschenWeltdurchwanderer George. Seine Rhythmen sind weicher, seineReime kommen uns bekannter entgegen, und zuweilen klingen seineVerse wie die Erinnerung an Feste, die wir selbst erlebt zu habenglauben.

Neben diesen beiden Führern strebt ein Kranz kleinerer Talenteder gleichen reinen Kuustvollendung zu: Paul Gerardy, RichardPerls (gest. 1899), Waclaw Lieder, Karl Wolfskehl . Schonschließt sich mit Karl Gustav Vollmöller , August Oehler,Oscar A. H. Schmitz eine zweite Generation an die selbst dochnoch so jugendlichen Begründer.

Gefahren hat auch diese Richtung. Vor allem liegt das Be-denken vor, ob eine solche aristokratisch-exklusive Lyrik nicht sichselbst die wichtigste Grundbedingung, die Fühlung mit der Volks-seele, verkümmert. Noch kann sie von dem zehren, was dasVolk"im weiteren Sinne des Wortes mit der Bildungsaristokratie gemeinhat; aber wenn dies verbraucht ist? Und diese Lyrik verbrauchtihrer ganzen Natur nach mehrStoff" als eine andere.

Gerade dieser Gefahr gegenüber haben wir es freudig zu be-grüßen, daß trotz dem erfolgreichen Auftreten der beiden neuenRichtungen in der Lyrik der alte Hauptstamm nicht verdorrt ist.Je stärker die deutsche Kunst oft und überoft unter dein fortwähren-den Bruch der Tradition zu leiden hatte, desto wichtiger ist es, daßman wenigstens auf diesem Gebiet, auf dem die Überlieferung vonSchule zu Schule nie ganz aufgegeben wurde, nicht vorschnell müh-sam errungene Vorzüge lockenden Neuerungen opfert. Auch wermit den Neueren sympathisiert, wird deshalb den Bewahrern altenGutes danken müssen. Daß sie sich von den Schwächen frei hielten,nlit denen frische Tendenzen nun einmal immer zu kämpfen haben,das hat glücklichen Fortsctzern der bisherigen Technik in der deutschenLyrik wie Gustav Falke (geb. 1853:Tanz und Andacht" 1893,