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1890—1899.
systemS zu bemächtigen, wenn es galt, auf seinen Verstand Eindruckzu machen.
Gerade dies ist die Methode unserer jüngeren Kritiker, die jadurchweg von Brandes und von Jacobsen — über den er an jenerStelle spricht — gelernt haben. Natürlich kann auch dies Ver-fahren übertrieben werden. Es scheint auch mir ein Mißbrauch derimpressionistischen Methode, wenn ein junger Recensent von demJnnsbrucker Volkstheater sagt: „Die Bauern spielen sozusagen mitdicken Backen. Es kracht alles. Sie haben ein vollgegessenes Tempe-rament. Ihre Bühne riecht nach Frischgeselchtem" . . . Dennochmuß ich gesteheu, daß ich durch diese „frischen Vorstellungsbezeich-nungen" über das Spiel jeuer Bauerndilettanten eine sehr vieldeutlichere Vorstellung empfange, als niir etwa folgende Stelle auseiuem Brief Rötschers an Hebbel (vom 1. November 1848) über„Herodes und Mariamne" giebt: „Ihre Tragödie zeigt die unend-liche Berechtigung der freien Subjektivität, welche sich als Selbst-zweck weiß und sühlt und durch jede Verkehrung derselben zumMittel eine unendliche Verletzung erfährt, gegen welche sie mit derganzen Stärke des Gemüts reagiert". Ich wähle absichtlich eineinhaltlich durchaus zutreffende Bemerkung eines sehr gescheitenKunstrichters: wie blaß wirkt sie durch die abstrakten Ausdrücke!Wollte man in die eigentlichen Tiefen der philosophischen Kunst-kritik hineingreifen, so könnte man Proben geben, neben denen jenerimpressionistische Exceß vollends harmlos erscheinen würde.
Ans die Sprache unserer Kritiker hat neben den großen Mustern,Lessing, Brandes, Lemaitre, besonders auch Nietzsches Stil gewirkt.Der Aphorismus, bei uns eine junge Kunst, ist eine Lieblings-waffe geworden, die vielfach mit großer Eleganz und Sicherheitgehandhabt wird. Daß sie als selbständige Gattnng seltener auf-tritt, liegt gerade mit an dem großen Bedarf an pointierten Sätzenin der heutigen Prosa. Wir haben immerhin ein vortrefflichesBüchlein von Peter Sirius („1001 Gedanken" 1899), undPaul Nikolaus Coßmann (geb. 1869) hat in seinen „Apho-rismen" (1898) uns eine Sammlung geschenkt, die durch Gesund-heit des Inhalts wie durch Gewandtheit der Form sich das Rechterobert, ein Wort des geistreichen und tiefdenkenden FranzosenChamfort als Motto zu gebrauchen: „Man muß den Mut haben,Meinungen auszusprechen, welche keinen Anstoß erregen". Vonsolchen und ähnlichen Ansprüchen gilt des Autors Wort: „Ein