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Festschrift zum fünfhundertjährigen Geburtstage von Johann Gutenberg / im Auftr. d. Stadt Mainz hrsg. von Otto Hartwig
Entstehung
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ZUR EINFÜHRUNG

Die Entschlüsse der Menschen gehen von den Möglichkeiten aus, welche die all­gemeinen Zustände darbieten; bedeutende Erfolge werden nur unter der Mitwirkung der homogenen Weltelemente erzielt; ein Jeder erscheint uns als eine Geburt seiner Zeit, als der Ausdruck einer auch ausser ihm vorhandenen Tendenz. L. v. RANKE.

IE Erforfchung der Anfänge faß aller großen Entdeckungen vergangener Tage wird von künftlichen und natürlichen Schwierigkeiten gedrückt. Ein­zelne Individuen, Familien, Städte, ja ganze Völker haben von jeher ver­flicht, die Ehre, eine große Erfindung oder Entdeckung gemacht zu haben, widerrechtlich an (ich zu reißen. Ift aber einmal eine folche falfche Behaup­tung aufgeftellt, dann finden (ich immer Leute, welche mit dem Aufgebot alles Sdharfßnns die Wahrheit zu beftreiten und mit den fadenfcheinigßen Gründen das Unrechtzu vertheidigen bereit sind. Daß solche Entßellungen des Thatbeftandes überhaupt möglich find, hat jedoch feine natürlichen Gründe. Nicht immer verlieren fleh die Anfänge großer Entdeckungen in ein Dunkel, das nicht mehr aufzuhellen ift, und von großen Erfindungen felbß verblaßen nicht immer, wenn auch häufig, die Namen der Erfinder fo, daß ihnen keine hißorifche Forfchung beikommen kann. Die Schwierig­keit liegt vielmehr darin, daß ein und diefelbe Entdeckung gleichzeitig von Mehreren gemacht wird, oder Streit darüber herrfcht, was das letjte Neue und Ausfchlaggebende an einer Erfindung gewefen fei, und wer denn die- fes zu dem (chon Vorhandenen oder Gewußten hinzugethan habe. Beides, die Streitigkeiten über die Priorität einer Erfindung zwifchen Mehreren und über das, was das Wesen derselben ausmache, gehen im Grunde von Einer Urfache aus.

Keine große Entdeckung fpringt wie Athene aus dem Kopfe des Zeus unvermittelt und vollkommen ausgebildet an das Licht des Tages. Sie ift vielmehr das Produkt einer Entwicklung, welche in der Regel erst nach mehrfachen Schwankungen und Fehlßhlägen auf ihr Ziel losgeht. Diefes klar zu erfaffen und zu erreichen, ift das Werk eines genialen Menfchen, der damit zum Entdecker einer neuen Wahrheit, zum Urheber einer großen Erfindung wird. Ist nun eine Entwicklung an dem Punkte angelangt, auf den fie hindrängt, dann kann fich der Lichtgedanke, der fie zum Abßhluffe bringt, gleichzeitig in verfchiedenen Köpfen entzünden, ohne daß der eine etwas von dem anderen weiß. Die Entdeckung ift eben gleichzeitig von Mehreren gemacht. Doch wird ein Jeder von ihnen nach dem Maße feiner Genialität und feines ausdauernden Fleißes feiner Erfindung etwas Befonderes auf­prägen und ihr fofort einen mehr oder weniger hohen Grad der Vollendung geben. Was Wunder daher, daß bei einer folchen allmählich fleh ausgeftaltenden Erfindung fchließlich Verfchiedene den Ruhm der endgültigen Entdeckung für fich in Anfpruch nehmen und das Wefentliche derfelben in dem fehen, was gerade fie hinzugethan haben, oder daß fie, wenn fie nicht leugnen können, daß ein Anderer über fie hinausgekommen, hierin etwas Zufälliges und an ßchUnwefentliches erblicken. Je nachdem nun folche Geifter ihre Stimme recht laut erheben und hierbei von Zufälligkeiten und dem perfönlich beeinflußten Beifalle Dritter unterftütjt werden, gelingt es ihnen und ihren Nachbetern auch hier und da, für längere oder kürzere Zeit die Wahrheit in den Schatten zu ftellen und dem ächten Ver-

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