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2 (1914) Im Zeitalter Kaiser Wilhelms des Siegreichen
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Moltkes Bemerkungen

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Es ist natürlich, daß die kriegerischen Ereignisse, die Armeereform unddie gleichzeitige Einführung der neuen Waffen auch die theoretische Lehrevom Kriege umwandeln mußten. Obenan stehen dabei MoltkesBe-merkungen über den Einfluß der verbesserten Schußwaffen auf das Ge-fecht." Sie hoben die Bedeutung des Schützenfeuers sowohl für die Ab-wehr des anstürmenden Gegners, als auch zur Vorbereitung des eigenenAngriffs hervor. Diesem wurde der Erfolg nur zugesprochen, wenn erin der eigenen Artillerie eine wirksame Unterstützung fand, von der Boden-gestalt begünstigt und durch das Feinschießen der Schützen vorbereitet wird.Eine Infanterie, welche ohne diese Bedingungen aus großer Entfernungüber die freie Ebene zur Bajonettattacke schreitet, wird, wenn der Gegnerüberhaupt standhalten will, fast zweifellos an seiner Feuerwirkung scheitern."Die Betrachtung gipfelte in dem Schlüsse, daß es künftig geraten sei,erst die Vorteile der Verteidigung auszunutzen, um dann über den durchGeländeüberwindung und Gefechtsverluste erschöpften Gegner herzufalleneine Form des Kampfes, die theoretisch gewiß viel für sich hatte, aber inder Wirklichkeit des Krieges von Moltke niemals angewendet worden ist.Zu gleichen Schlüssen gelangte auch Prinz Friedrich Karl . Sie kristalli-sierten sich in den Worten:Die Schlacht wie Wellington beginnen, wieBlücher vollenden." Auch dazu ist es nicht gekommen. Die Hauptsacheaber ging trotzdem aus den Untersuchungen richtig hervor, nämlich dieüberwiegende Bedeutung des Feuergefechts, seit der Hinterlader und dasgezogene Geschütz nebeneinander wirkten. Unbeeinflußt von dem irrtümlichweit übertriebenen Ruse, in den die französischen Bajonettangriffe von 1859öffentlich geraten waren, begann die preußische Armee ihre eigene Lehre zuentwickeln. Sie lief auf eine sorgfältige Ausnutzung der neuen vervoll-kommneten Schußwaffen in Verbindung mit lebhaftem Dränge nach vor-wärts und größter Selbständigkeit der Führung aller Stufen hinaus.Mehr als alles andere hat damals gewirkt, daß gerade dnrch kritische Be-trachtung der Schlachten von 1859 im ganzen Heere der Grundsatz sichverbreitete, daß eine Unterlassung weit schlimmer sei, als die aus Taten-drang begangenen Fehler.

Dieser Grundsatz verhütete, daß das veraltete Reglement von 1847Unheil anrichtete. Nur die vier Seiten, die es über die Verwendung derKompagniekolonnen enthielt, konnten gebraucht werden. Die Armee mußtezur Selbsthilfe greifen und zögerte nicht, es zu tun. Das ergab einzelneAuswüchse, machte aber doch ein großes Kapital an Selbsttätigkeit flüssig.Stillschweigend war es ausgemacht, daß mit dem Überschreiten der Grenzedie reglementarischen Fesseln fallen müßten, und man zu tun berechtigt sei,