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2 (1914) Im Zeitalter Kaiser Wilhelms des Siegreichen
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Österreichs und Preußens gemeinsame Herrschast

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schaft Österreichs und Preußens über die Herzogtümer keine dauernde seinkönne, lag auf der Hand; einen neuen selbständigen Mittelstaat zu bilden,lag nicht im Interesse Deutschlands . Er würde voraussichtlich nach kurzerZeit, wie die anderen, der Vorherrschaft Preußens und damit einer strafferenVereinigung der deutschen Bundesstaaten widerstrebt und sich bei den Ab-stimmungen am Bundestage auf feiten der Gegner befunden haben. Abergerade diese Lösung strebte die große liberal gesinnte Masse des deutschen Volkes, der jeder Instinkt für politische Machtverhältnisse fehlte, mit leiden-schaftlicher Erregung an. Sie, deren Kampfruf jederzeit die Größe undEinheit Deutschlands war, arbeitete ihr tatsächlich mit allen Mitteln ent-gegen. Dauernd wandte sie ihre Sympathie dem Augustenburger zu. Siearbeitete damit zugleich für die Interessen der fremden Mächte, namentlichFrankreichs, dem eine Erstarkung Deutschlands höchst unerwünscht seinmußte. Auch Österreich sah der Möglichkeit eines Machtzuwachses fürseinen Nebenbuhler in Deutschland mit Sorgen entgegen, während es dochselbst bei der großen Entfernung Schleswig-Holsteins vom Kaiserstaat anendgültigen Erwerb nicht denken konnte. Dieser hätte es auch eng an dienordische Politik Deutschlands gefesselt, während sein natürliches Schwer-gewicht es in entgegengesetzter Richtung fortzog. König Wilhelm warpersönlich dem Prätendenten wohlgeneigt, hätte aber nimmermehr geduldet,daß Preußen auch diesmal, wie 16 Jahre früher, am Ende ohne jedenLohn für seine Opfer blieb. Ihm schwebte die Verwertung der Wehrkraftder befreiten Herzogtümer, zumal zur See, unter preußischer Führung vor.Aber auch bei dieser Forderung ließ sich lebhafte Opposition aller Be-teiligten voraussehen.

Die politische Frage blieb daher einstweilen noch ungelöst. Daß sie beiihrer Eigenart den Keim weiterer schwerer Verwicklungen in sich trug,war aber unverkennbar. Um so mehr hätte sich ganz Preußen um seinenKönig scharen und einmütig zu ihm stehen sollen. Allein dieser Tag warnoch nicht gekommen.

Dem' aufmerksamen Blick und dem gerechten Urteil konnte die völligeWandlung nicht entgehen, die sich mit der preußischen Wehrmacht voll-zogen hatte. 1343 und 49 war es Preußen nur mit Mühe gelungen,eine an Zahl schwächere, aus verschiedenen Verbänden zusammengesetzteStreitkraft aufzubringen, die nur unter Heranziehung der Landwehr diegewünschte Höhe zu erreichen vermochte. Mit deren Aufgebot war Preußen nahezu erschöpft. Diesmal betrug das stärkere Heer im Augenblick seinerhöchsten Kämpferzahl noch nicht ein Viertel des Linienstandes. Von einerEinberufung der Landwehr war ganz abgesehen worden, eine Wohltat für