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2 (1914) Im Zeitalter Kaiser Wilhelms des Siegreichen
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VI. Die Kämpfe um Deutschlands Einigung

Landwirtschaft und Gewerbe. Und wie anders als ehedem waren dieKämpfe ausgefallen. Wohl hatte das erste Vorgehen gegen die Dannewerk-stellung und die Schlei noch den Eindruck von Behutsamkeit gemacht. Eswar aber die erste Waffenprobe, die die neue Armee durchmachen sollte,uud Vorsicht natürlich. Auch der Entschluß zur förmlichen Belagerung vonDüppel hatte noch Bedenken erregt. Als dann aber der Sturm mit derPünktlichkeit eines Uhrwerks ablief, als gar der Übergang nach Alsen an-gesichts der dänischen Flotte und einer starken, vorbereiteten Strandver-teidigung in ebenso glänzender Art gelang, da hätte man wenigstens imeigenen Volke nicht mehr blind für König Wilhelms Lebenswerk bleibendürfen. Die Mehrheit des Abgeordnetenhauses aber verharrte auch jetztnoch im Widerstande gegen die Heeresreform, die sich soeben glänzend be-währt hatte. Der geistige Hochmut, der Eigendünkel und die blinde Recht-haberei der herrschenden Fortschrittspartei sträubten sich weiterhin gegendie Anerkennung des begangenen Irrtums. Sie sprach sich selbst damitvor der Geschichte das Verdammungsurteil. In der Armee indes stiegendas Selbstvertrauen und die Zuversicht in gleichem Maße, wie das Ver-trauen zu dem obersten Kriegsherrn, dem sie treu gefolgt war.

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Die Entscheidung über Schleswig-Holstein wäre leicht gewesen, wennsich Österreich hätte entschließen können, Preußen die Führung in Deutsch-land zu überlassen, um dafür eine Stärkung seiner Stellung außerhalbDeutschlands im Süden und Osten zu erfahren. Diesem Gedanken folgteGraf Rechberg , der österreichische Minister des Auswärtigen, aber seinRücktritt verhinderte die Durchführung. Bismarck hätte zugestimmt. Öster-reich aber wollte neben seiner Herrschaft in Ungarn und Venetien auchdie Vormachtstellung in Deutschland behaupten. Das erwies sich als un-möglich. Preußen war zu groß geworden, um sich ihm dauernd unter-ordnen zu können, zumal jetzt, da es seine Kräfte wachsen fühlte. Österreich hatte, nach Zusammensetzung der Nationalitäten und nach seiner geogra-phischen Lage, eine Aufgabe außerhalb Deutschlands zu erfüllen, die seineKräfte hinreichend in Anspruch nahm. Preußen hatte eine Zukunft nurin Deutschland und mußte verkümmern, wenn es diese aufgab. Darin lagder unversöhnbare Gegensatz. Auf der Spannung zwischen ihnen beruhteauch das Elend der Kleinstaaterei und der Schwäche Deutschlands nachaußen hin. Bei der Fortdauer des Dualismus war an die Erfüllung desuralten Traumes von der deutschen Einheit nicht zu denken. Bismarckhatte das am ehesten und schärfsten erkannt. Im Sommer 1865 sprach