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Aber nicht nur der Streiterzahl nach war Deutschlands Kraft ge-wachsen. Das Heer hatte durch den Krieg von 1866 an innerem Wertenicht weniger gewonnen. Das Selbstvertrauen war bei den preußischenTruppen durch die Siege über Österreich erheblich gestiegen. Beim Beginnhatten Offiziere und Soldaten ein schweres und langes Ringen erwartet,das nicht ohne Rückschläge und gefährliche Krisen abgehen würde. Mandachte an einen mehrjährigen Krieg. Nun waren die Waffenerfolge Schlagauf Schlag und, wenn man von den wenigen Kämpfen nach Königgrätz absieht, innerhalb von nur 7 Tagen errungen worden. Preußen selbsthatte — ganz wie das Ausland — von der eigenen Kraft zuvor keinerleirichtige Vorstellung gehabt.
Es kam hinzu, daß für den großen Krieg im freien Felde die Erfahrunggefehlt hatte, die 1864 nicht geben konnte, die der Gegner aber seit 1859besaß. Nun war auch dieser Mangel ausgeglichen. Die Hauptwaffe, dieInfanterie, deren Reglement ersichtlich für den modernen Krieg nicht mehrpaßte, war 1866 auf Selbsthilfe angewiesen, aber diese blieb auch nichtaus. Alle Führer wußten sie zu finden, verschiedenartig je nach ihrenindividuellen Ansichten, aber im allgemeinen auf durchaus zweckmäßigeArt. „Bei der Mobilmachung, spätestens mit dem Überschreiten der Grenze,streifte man die alte reglementarische Haut wie einen unbequemen Rockab, und es kamen die verschiedenartigsten neuen Kostüme zum Vorschein."Die gesamte neuzeitliche Kriegsgeschichte kennt keine zweite so eigenartigeErscheinung.
König Wilhelm kannte die Einsicht und Tüchtigkeit seiner Offiziereund ließ sie gewähren. So gerade war es geschehen, daß sich eingroßer Reichtum von geistigem Leben und von Tatkraft entwickelt hatte.Mit der Freiheit im Handeln schärfte sich zugleich das Gesühl der Ver-antwortlichkeit, aber es schwand die Furcht davor, und es stieg dieFreude an der eigenen Initiative. Die Sonderart der einzelnen Männer,die alle das Beste erstrebten, machte sich zum Vorteil des Ganzen geltend.Wohl war gar mancher von ihnen in der Selbständigkeit des Handelnssehr weit, ja gelegentlich zu weit gegangen. Namentlich im jüngeren Offi-zierkorps jener Zeit schlich sich ein Gefühl ein, als sei das einfache Ge-horchen des entschlossenen Mannes nicht recht würdig und ein Zeichenvon Schwäche. Wenigstens mußte er etwas Eigenes hinzusetzen, aber dieseEigenmächtigkeit artete nie in Willkür aus. Ein jeder hatte das gleicheZiel vor Augen, den Vorteil des Staates, den Sieg des Heeres, das Ver-dienst der eigenen Truppe.
Mit Recht hat Dragomirow im Hinblick auf die Preußen von 1866