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2 (1914) Im Zeitalter Kaiser Wilhelms des Siegreichen
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Die deutschen Absichten

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Ganz anders sah es auf deutscher Seite aus. Wir wissen, daß Generalv. Moltke sich seit einem Jahrzehnt mit dem Gedanken an einen Krieggegen Frankreich beschäftigte. Der letzte und vollkommenste seiner Ent-würfe für dessen Durchführung ist im Winter 1868/69 geschriebeneinMeisterstück strategischer Weisheit, Klarheit und Voraussicht." EinemNachweise der Überlegenheit der deutschen Heere an Zahl folgt der bedeu-tungsvolle Satz:Es leuchtet ein, wie wichtig es ist, die Überlegenheitauszunützen, die wir gleich anfangs allein schon in den norddeutschenKräften besitzen." Ganz etwas anderes als die Franzosen erwartet hatten,trat also ein. Statt des behutsamen Aufmarsches am Rhein zwischenWesel und Mainz zur Verteidigung sollte der Aufmarsch aller Kräftegleich vorwärts des Stromes zum sofortigen Angriff erfolgen, aber erst,nachdem sie sich in ihren Standorten vollständig auf den Kriegsfuß gesetzthatten. Die Bildung von drei Armeen war in Aussicht genommen, vondenen die I. sich um Wittlich an der Mosel, die II. bei Homburg , dieIII. um Landau in der Pfalz versammeln sollte. Ohne Verzug wärevon dort der Vormarsch zu beginnen, um die französische Hauptmacht an-zugreifen und sie im weiteren Verlaufe der Kriegshandlung von ihrenVerbindungen mit Paris und dem reichen ausgedehnten Süden Frankreich nach Norden hin abzudrängen.

Überzeugend wird nachgewiesen, daß weitausschauende Unternehmungen,wie nach Süddeutschland hinein, durch die Schweiz, durch Belgien undHolland, oder gar an die Nordseeküste die Lage der Franzosen nur ver-schlechtern könne, weil die deutsche Überlegenheit an der entscheidendenStelle dann um so größer wurde. Die Vereinigung aller Kräfte in derPfalz bedrohte Frankreich und Paris so unmittelbar, daß sie die franzö-sische Hauptmacht an Lothringen fesselte und zugleich Süddeutschland undden Oberrhein am wirksamsten schützte. Die Richtigkeit dieser Ansichtwurde in den süddeutschen Staaten erkannt. Willig vertrauten sie sichdem mittelbaren Schutze durch Preußen an. Die Einigung Deutschlands ,durch die beiden vorangegangenen Kriege vorbereitet, vollzog sich tatsäch-lich schon im Beginn des dritten und hatte sich in der neuen Feuerprobelediglich noch zu bewähren.

Gestört konnte der Aufmarsch nur werden, wenn die Franzosen mitihrem auf Friedensfuß stehenden Heere sogleich die Grenzen überschritten,um die Deutschen unfertig, mitten in ihren Vorbereitungen, anzutreffen.Dann aber sollte die mittlere stärkste Armee nicht nahe der Saar, sondernschon am Rhein bei Mainz die Bahn verlassen, um den Angriff in aus-gewählter Stellung anzunehmen, während die beiden andern Armeen gegen