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ihrer ganzen Natur nach antipathisch waren; sie stehen auch in derGeschichte nicht wie Ergebnisse da, sondern wie Proteste, wie Reak-tionen gegen die von der Nation eingeschlagene Richtung." WieHerman Grimm vertritt er also den Heroenkultus bis zum Leugnender historischeu Vorbedingungen seiner Helden; nnd den Protestgegen die Übertreibungen des historischen Sinnes, der zuletzt allesverzeihen wollte, damit man glanbe, er habe alles verstanden —diesen Protest, den Nietzsche so kräftig aufnahm, hat er in denköstlichen „Zwölf Briefen eines ästhetischen Ketzers" (1873)zuerst iu weitere Kreise getragen.
Der Essay hat eigentlich immer eine antihistorische, weilantimethodische Tendenz; so hat auch Hillebraud eine Vorliebefür die „Unzünftigen", für Rahel und Fürst Pückler und dieGräfin Hahn, für Schopenhauer uud Lagarde und Nietzsche , füralles, was aus patriotischem uud humanem Temperament heraussich über die bisherigen Grenzen heraussetzt. Aber — sie müssenTalent haben. Der bloße Dilettant fällt bei ihm arg ab, stärker nochder Doktrinär, der Theorien statt der künstlerischen Gaben, Rubrikenstatt der Anschauung, ein Gemisch von Kunst und Wissenschaft stattbeider giebt. Hillebrand, der außer seinen meisterhaften Essays(„Zeiten, Völker und Menschen", seit 1874) auch eine streng wissen-schaftliche „Geschichte Frankreichs von der Thronbesteigung LudwigPhilipps" (1877—78) geschrieben hat, hielt immer daran fest, dieGeschichtschreibung sei Kunst, nicht Wissenschaft: so fundamentalerschien ihm die Bedeutung der Darstellungsform. Dennoch hätteer sich zu Herman Grimms Auffassung, alle Wissenschaft sei nichtigneben der Kunst, alle Forschung neben der genialen Inspiration,schwerlich bekannt: dazu war der gut rationalistisch augehauchteSchüler der Engländer nnd Franzosen zu nüchtern.
Unsere großen Essayisten haben bei entschiedener Parteinahmein allen wichtigen Tagesfragen der eigentlichen Agitation immerfern gestanden. Die neue Agitationslitteratur bereitete sich erst vor.Der größte Agitator Deutschlands, Ferdinand Lassalle (1825—1864), und sein beredter national-konservativer Gegenpart Paulde Lagarde (1827—1891: „Deutsche Schriften" 1886) lebtennoch in wissenschaftlichen Stndien. Aber wie sehr das Bedürfnisnach neuer agitatorischer Gesellschaftskritik, nach einem Anknüpfenan die Fäden des Jungen Deutschland und der Revolutionäre sichregte, dafür zeugt eine merkwürdige, noch kaum genügend gewürdigte