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2 (1914) Im Zeitalter Kaiser Wilhelms des Siegreichen
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Das neue preußische Staatsgebiet

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ein mittelmäßiger Ersatz für das Heer zu ziehen. Dabei war die rheini-sche Bevölkerung stark von französischem Geiste getränkt, Sie brachte demMilitärstaat des Ostens, mit seinem über Gebühr gefurchtsten Korporalstockin der derben Faust, nur der Stammesgenossenschaft halber, keineswegsSympathie entgegen. Nannte man doch lange nach dem Kriege noch deseigenen Königs Truppen in den Rheinlandendie Preußen ", als handlees sich um ein fremdes Volk.

Das künftige Staatsgebiet bestand aus zwei ganz getrennten Stücken,den 6 östlichen und den 2 westlichen Provinzen. Das war unbequem undnachteilig, wenn zwischen beiden auch Etappenstraßen sür Truppendurch-märsche ausbedungen waren. Zu den zwei großen unmittelbaren Nach-barn alter Zeit, Rußland und Österreich, war ein dritter getreten: Frank-reich. Das wog um so schwerer, als sich Österreich durch das Aufgebenseiner niederländischen und westdeutschen Besitzungen von einem eigenenInteresse an der Verteidigung der deutschen Westgrenzen frei gemacht undsie Preußen überlassen hatte.

Von Memel bis Trier , über eine Strecke von 180 deutschen Meilenauseinander gereckt, in der Mitte zerrissen, durch Kleinstaaten getrennt, imOsten, im Süden und im Westen in unmittelbarer Berührung mit stär-keren Staatsgebilden, lag der Leib der preußischen Monarchie da. Esschien, als seien die Keime dauernder Schwäche darin vorhanden, die ihreNeider ihm eingepflanzt hatten, und an denen er unrettbar allmählichwerde zugrunde gehen müssen.

Diese Mißgestalt aber erschien noch ungünstiger, wenn man sie mit derneuen Form der anderen beteiligten Großmächte verglich. Österreich hatteseinem Gebiet eine vortrefflich erscheinende Abrundung gegeben. Von denSorgen im Westen befreit, konnte es sich ganz dem Osten zuwenden, woihm nur noch die Donaufürstentümer fehlten, um einen massiven, völliggeschlossenen, durch die Donau geschützten Länderkomplex zu bilden. NachSüden hatte es durch Vergrößerung seines Besitzes jenseits der Alpen undEinsetzung habsburgischer Sekundogenituren in den italienischen Klein-staaten den Fuß fest auf die apenninische Halbinsel gesetzt. Sardinien war zwar tatkräftig aber klein, von dem neuen bourbonischen Königreichebeider Sizilien nichts zu besorgen. Nur mit Rußland war ein un-mittelbarer Zusammenstoß möglich, aber bei der Gleichartigkeit der Inter-essen nicht wahrscheinlich. Österreich wurde nach dem Wiener Kongreß nicht mit Unrecht als die stärkste Landmacht Europas angesehen. Nachdem Maßstabe der materiellen Mittel gemessen, traf das vollkommen zu.

Rußland hatte durch die Übernahme der bei den zwei letzten Teilungen