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2 (1914) Im Zeitalter Kaiser Wilhelms des Siegreichen
Entstehung
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I. Die Heere nach dem Befreiungskriege

zur russischen Armee, die bekanntlich am Ende zu den berühmten gemein-samen Manövern von Kalisch 1335 führten, steigerten den Wetteifer, dersich aber nur auf die äußere Erscheinung der Truppen erstreckte, ganzerheblich. Er förderte den revuetaktischen Zug in der Ausbildung derTruppen, hinter dem das Kriegsgemäße allmählich mehr und mehr zurück-trat. Die ernsten Musterungen wurden seltener, die Paraden häufiger.Die Vorbereitungen dazu nahmen mehr und mehr Zeit in Anspruch.

Der König, der sich 1814 so sehr von seinen Truppen und auch vonder Einmischung in die Kriegführung zurückgehalten hatte, fühlte sich nachdem Friedensschlüsse wieder ganz in seinem Fahrwasser. Er beschäftigtesich viel mit ihnen, übernahm oft persönlich ein Kommando und sah mitStrenge auf äußerste Ordnung. Noch galt das Exerzieren als das einzigeAusbildungsmittel. Die allgemeine kriegerische Tüchtigkeit galt als ein soselbstverständliches Nebenprodukt einer straffen Exerzierschule, daß man sie,wenn jene nur auf der gewünschten Höhe stand, ohne weiteres mit ein-zuheimsen glaubte.Eine Kompagnie, die einen guten Parademarsch macht,geht auch gut gegen den Feind." Diesen Lehrsatz konnte man sogar nochin den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts aussprechen hören. DieGenerale und Stabsoffiziere der Armee stammten mit verschwindendenAusnahmen aus der Zeit von vor 1806. Sie hatten alle die alte glän-zende preußische Armee gekannt, deren Leistungen auf den Nevueplätzenselbst einen Gneisenau zu begeisterten Versen hingerissen hatte.

Wohl hatten die Männer aus der Zeit der Erhebung: Scharnhorst,Stein, Gneisenau, Fichte, Iahn und andere auf die Notwendigkeit sittlicherund moralischer Einwirkung zur Erzielung männlicher und soldatischerTugenden hingewiesen, und die Richtung ihrer Lebensanschauung wurdetheoretisch auch anerkannt, aber sie war doch noch viel zu wenig in daspraktische Rüstzeug des gesamten Lehrpersonals der Armee übergegangen,nm sich in der Soldatenausbildung unmittelbar fühlbar zu machen. DenDrill" zu handhaben verstand ein jeder, und deswegen ersetzte er dieErziehung auch immer noch zum weitaus größten Teile.

Vielleicht war auch das Offizierkorps im großen und ganzen noch nichtfähig zu einer von ethischem Inhalt erfüllten Truppenausbildungsmethode.Unter den älteren Offizieren der vorjenensischen Zeit fanden sich noch vielOriginale. Sie hatten sich nach der Niederlage in allerlei bürgerlichenStellungen befunden, um ihr Brot zu verdienen, und hatten Eigenheitenangenommen, die es ihnen schwer machte, sich in die Gemeinschaft einzu-fügen, als der König sie wieder zu den Waffen rief. Meist waren sieohne tiefere wissenschaftliche Bildung. Die vielen mit den neuen Provinzen