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2 (1914) Im Zeitalter Kaiser Wilhelms des Siegreichen
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Revuetaktik

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selbst von den Übungsplätzen verbannt sein," sagt es ausdrücklich. Dem-entsprechend waren für Kolonnenbildungen und Entwicklungen nur ganzallgemeine Grundsätze angegeben, keine festen Bestimmungen.Jeder Offiziermuß seinen Zug nach den Umständen passend leiten, in den Gang desGanzen gehörig eingreifen und es nie gestatten, daß eine Wildheit einreiße,welche allen Appell aufhebt und jede Leitung unmöglich macht." Das istganz modern gedacht, und so geht es weiter hinauf, selbst für die höherenFührer bis zu dem der Brigade , der bekanntlich damals schon alle dreiWaffen unter seinem Befehl vereinigte. Zehn kleine Seiten gaben ihmdie Grundlehren an, nach denen er verfahren sollte.

Die große Freiheit, welche die treffliche Vorschrift dem eigenen Entschluß,der Einsicht und Erfahrung des Führers gewährte, war auch die Ursachefür die zahlreichen Lücken, die sie in der Festsetzung von Einzelheiten ab-sichtlich ließ. Es sollte diesen nicht zu viel Wert beigemessen werden, ihreAusfüllung dem Nachdenken des einzelnen überlassen bleiben. Daranknüpften sich jetzt im Exerziereifer die Debatten und das Verlangen nachFestsetzungen, wie das eine oder andere ausgeführt werden sollte. Zahl-lose Zusatzbestimmungen und Sonderbefehle erschienen, um das Reglementzu ergänzen. Es schwoll dadurch von neuem an; der Gedächtniskramwuchs und das Kriegsmäßige schwand. Leider fiel das Streben nach Ord-nung aller Kleinigkeiten bei König Friedrich Wilhelm HI. auf fruchtbarenBoden. Er war seiner Ansicht:daß Egalität die größte Schönheit desMilitärs sei," treu geblieben.

Scharnhorst hatte sich als Prophet erwiesen, da er 1811 etwas Neuesverlangte, aber keine Flickarbeit, und die Exerzierbücher mit alten Gebäu-den verglich, an denen man beständig herumbessere, ohne wirklich Brauch-bares zustande zu bringen.Der eine fügt dies hinzu, der andere jenes.Nur selten wird dabei auf den großen Zweck gesehen. Die Vorschriftenvermehren sich. Die geringsten Kleinigkeiten werden nach und nach be-bestimmt, ohne daß dabei bedacht wird, daß darüber nur die Zeit, anderewichtige Gegenstände zu üben, verloren geht. So entsteht zuletzt ein zu-sammenhängendes zum Teil zweckloses Arbeiten, ein Mechanismus, dersowohl sür das Nützliche nachteilig, als für den Geist drückend ist."

Als unter König Friedrich Wilhelm IV. die Unmöglichkeit, alle Zusätzezu übersehen und durch das Gedächtnis zu beherrschen, zur Herausgabeeines neuen Reglements führte, da beherrschte der Geist von Saldernund Genossen wieder die Lage. Die Exerzierkunststücke, die parademäßigenKriegstänze, wie man sie spottend genannt hat, gelangten zu ihrem Rechte.Die genau festgesetzten Entwicklungen ans den Kolonnen heraus und das