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V. Die preußische Armeereform von 1860
für notwendig erachteten Änderung der Wehrverfassung. Er mag siedamals in seinem bescheidenen Sinne für die Krönung seines Lebens-werkes gehalten haben; denn seit mehr als 30 Jahren trug er sich inGedanken damit.
Als junger Prinz schon hatte er mit voller Klarheit die Mängel derunter dem Drucke der Not 1814 geschaffeneu Wehrverfassung erkannt, dienicht einmal ihrem Geiste nach voll durchgeführt werden konnte. Uner-müdlich drang er auf Abhilfe. Einmal war es nahe daran, daß der König,sein Vater, ihn als Vorsitzenden einer zum Zwecke der Durchführungder wichtigen Verbesserungen eingesetzten Jmmediatkommission ernannte.Ein Jagdunfall, der ihn vorübergehend hinderte, das verantwortungsvolleAmt zu übernehmen, wurde jedoch die Ursache für einen Aufschub, dannsür einen völligen Verzicht. Die Finanzmisere beherrschte die Gemüter.Im Jahre 1817 konnte eine 5"/^ neue Anleihe Preußens nur mit Mühezum Kurse von 72 in England untergebracht werden. Im Jahre daraufsanken die 4°/<, Staatsschuldscheine auf 65°/<,. Alles was Geld kostete,mußte vermieden werden. Der sparsame Sinn des Königs hielt eisernan der Regelung des Staatshaushaltes als erstem Ziele fest, und wirwissen, mit welchem Erfolge. Im Jahre 1825 überstiegen die Einnahmenschon die Ausgaben und 1828 erreichten die Staatspapiere den Nennwert.Aber, um das Ergebnis aufrecht zu erhalten, blieb es bei der Knauserei,trotzdem Wohlstand und Einwohnerzahl fortdauernd zunahmen. DerFinanzminister war die fast in allen Staatsangelegenheiten entscheidendePersönlichkeit.
Bewundernswert und lehrreich ist es, wie der damalige Prinz Wilhelmunverdrossen immer wieder dazu mahnte, die Anstrengungen im Wehr-wesen zu erhöhen, mehr Leute einzustellen und zu wirklichen Soldatenheranzubilden, statt sich mit Zahlen und dem Schein zu begnügen. Denk-schriften über Denkschriften richtete er an das Kriegsministerium und denKönig, um zum Ziele zu gelangen. Er, den man vielfach für den Typusdes starren Linien- und Paradesoldaten ansah, zeigt sich dabei durchausnicht als Pedant und eigenwilliger Rechthaber, wie später seine Gegner.Auf die ihm gemachten Einwendungen ging er immer ein, sobald sie sichnur mit dem Hauptzweck, gründlicherer Vorbereitung des Heeres für seinenBeruf, vereinigen ließen, und machte neue sie berücksichtigende Vorschläge.Nach den üblen Erfahrungen bei der Mobilmachung von 1830 war seineTätigkeit besonders rege; die Sorge um das Vaterland im Falle einesernsten Krieges ließ ihm keine Ruhe. Einmal erwog er sogar das Ein-gehen auf die vielverlangte zweijährige Dienstzeit, so sehr sie seinen