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2 (1914) Im Zeitalter Kaiser Wilhelms des Siegreichen
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V. Die preußische Armeereform von 1860

die alles mit Reden im Brusttone der Überzeugung schlichten wollte, denKern der nationalen und staatlichen Größe, die Wehrhaftigkeit des Volkes,mit sicherem Blick erkannte. Die anderen Nationen waren sich dieserWahrheit seit langem bewußt, den Deutschen mußte diese Erkenntnis erstsinnfällig in blutigen Schlachten vor Augen geführt werden."

Neues Leben strömte damit in die Adern des Heeres.

Gleichzeitig ward ihm ein großes Ziel gesteckt. Der Gedanke an denkommenden Kampf gegen den Erbfeind erfüllte bald die Gemüter. Frank-reichs kriegerische Größe schien sich unter Napoleon III. erneuern zu sollen.Weit mächtiger als der Krimtrieg wirkten die Vorgänge des italienischenKrieges auf Preußen ein. In einem kurzen Feldzuge hatten die Fran-zosen die alte deutsche Vormacht geschlagen, die man der eigenen ma-teriell wenigstens für überlegen gehalten. Es war kaum noch zweifel-haft, daß demnächst die Reihe an Preußen kommen werde, welches ohneEntscheidungskampf die Bahn für seine weitere Entwicklung niemals findenwürde. Auch Moltke sprach diese Überzeugung aus.Es kommt daraufan, Deutschland durch Gewalt gegen Frankreich zn einigen."

Das Streben der Armee erhielt dadurch eine bestimmte Richtung. Manerwartete den Krieg binnen kurzer Frist, nämlich schon 1862. Europa hatte untätig zusehen müssen, wie sich Frankreich 1860 Savoyen und Nizza aneignete. Die Besorgnis lag nahe, daß Napoleon III. nunmehr nachdem Besitz des linken Rheinufers streben werde. Seine Bedeutung alsFeldherr und Staatsmann wurde weit überschützt. Seinem Angriff würdePreußen allein begegnen müssen; denn Österreich und Rußland warendurch innere Schwierigkeiten lahm gelegt. Ein neuer kurhessischer Ver-fassungsstreit drohte zu einer Vereinigung Österreichs, Bayerns und Frank-reichs gegen Preußen zu führen. Die Lage war ernst und trug nichtwenig dazu bei, den Eifer anzuspornen.

Die Reorganisation hatte das Offizierkorps erheblich verjüngt. Mitgroßer Strenge wurden alle überalterten höheren Führer beseitigt einVerdienst des damaligen Generaladjutanten und Chefs des Militärkabinettsv. Manteuffel, des späteren Feldmarschalls. Die schon 1862 vom General-stabe her ausgegebene Geschichte des italienischen Krieges übermittelte derArmee die neuesten Erfahrungen des Ernstfalles. Sie gaben viel An-regungen. Ein unmittelbarer Nutzen wurde daraus durch dieVerord-nungen über die Truppenübungen" gezogen, die 1861 erschienen und derArmee die notwendigen Lehren für den modernen Krieg gaben, die imReglement fehlten. Dieses zu ändern, entschloß sich der König nicht, so vieleLücken es auch enthielt. Man kann das heute für ein Glück ansehen; denn