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VIII. Der Krieg von 1870/71
sich den Unzufriedenen an. Es blieb nichts als die Kapitulation übrig,aber niemand wollte die Verantwortung dafür übernehmen, ja niemandsogar das verhängnisvolle Wort aussprechen.
Ein großer Kriegsrat hatte am 21. Januar den General Trochu seinesOberkommandos enthoben, Ducrot legte den Befehl über die Ausfallarmeeselbst nieder. Vinoy übernahm die militärische Leitung. Gebessert undgeändert wurde dadurch nichts. Waffenstillstandsverhandlungen mußten,im Hinblick auf eine drohende Hungersnot in der Millionenstadt, schleunigstangeknüpft werden, da ihr, wenn sie einmal ausbrach, nicht mehr zu wehrenwar. Am 23. Januar erschien Jules Favre in Versailles . Gegen Über-gabe sämtlicher Forts und Abrüstung des Hauptwalles erlangte er diedeutsche Zustimmung. Am 26. abends sollten die Feindseligkeiten eingestellt,die Zufuhren frei gegeben werden, am 31. ein allgemeiner Waffenstillstandfolgen. Ausgenommen wurden, wie bekannt, nur die Departements CSted'Or, Doubs und Jura, sowie die Festung Belfort . Der Regierung derNationalverteidigung wurde die Möglichkeit gewährt, eine frei gewählteAbgeordnetenversammlung aus dem ganzen Lande nach Bordeaux zu be-rufen, die über Krieg und Frieden entscheiden sollte.
Ohne Störung vollzog sich am 29. Januar die Besetzung der Forts.Die Armee von Paris noch 7456 Offiziere, 241636 Mann stark, legtekriegsgefangen die Waffen nieder. 602 Feldgeschütze, 177 000 Gewehre,1000 Munitionswagen gab sie in deutsche Hand ab. Von der Festungwurden 1362 schwere Geschütze und ein unermeßliches Kriegsmaterial aus-geliefert — eine Beute sondergleichen in der Geschichte.
Das große kriegerische Schauspiel war zu Ende. 132 Tage hatte dieEinschließung gedauert, von der man anfänglich geglaubt, daß sie nachwenig Wochen zum Ziele führen würde. Die Täuschung hatte den deutschenHeeren die schwersten Proben auferlegt, aber auch ihre Standhaftigkeitund die unerschütterliche umsichtige Ruhe ihrer Führung im schönsten Lichtegezeigt.
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Der Waffenstillstand verlief ohne ernste Störung. Eine Demarkations-linie von der Seinemündung zur Sarthe, bei Saumur die Loire über-schreitend, dann der Creuse folgend, östlich nach Vierzon und Chagny,CkMon-sur-SaSne nördlich umgehend, südlich Lons-le-Saulnier undSt. Laurent die Schweizer Grenze erreichend, trennte die Parteien. Diebeiden Departements Pas de Calais und du Nord im Norden, sowie dieLandspitze vor Havre verblieben den Franzosen. Nach Beseitigung an-