Änderungen in der Fechtweise
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wurde ausschließlich Versammlungsstellung. Aber auch das genügte natür-lich nicht für die kommende Zeit.
Öfters soll Kaiser Wilhelm ausgesprochen haben, daß er die Sorge fürein neues Reglement seinem Nachfolger überlassen wolle, und wahrschein-lich ist dieses Zögern, wenn es auch länger gedauert hat, als man an-nehmen konnte, der Sache zum Vorteil geworden. Das Brodeln derAnsichten mußte noch geraume Zeit fortdauern, bis in die technische Ver-vollkommnung der Feuerwaffen eine gewisse Ruhe kam, die neue Grund-sätze aufstellen ließ. Übrigens wurden die Exerzierformen des Reglementsvon 1847 noch beibehalten und sogar fleißig geübt, da man sie für einnotwendiges Mittel der straffen Ausbildung hielt. Sie hatten indes mehrdie Bedeutung von Gewandtheitsübungen für Truppe und Kommandeure.Diese zumal fanden dabei die Gelegenheit, ihre Geschicklichkeit und Sicher-heit im Kommando an den Tag zu legen, wonach sie noch immer, wieehedem, beurteilt und für die höheren Stellungen ausgewählt wurden.
Die herrschende Unsicherheit war nicht ohne Bedenken, aber man halfsich darüber hinweg. Zudem gab eine neue Bearbeitung der Vorschriftüber den Felddienst die notwendigen Winke für den Krieg, und wie vor1870 blieb die alte Meinung geltend, daß das Exerzierreglement für denFrieden, das sogenannte „Grüne Buch" aber für den Krieg maßgebend bleibe.
Die Rolle der Artillerie war in der ganzen Wichtigkeit erkannt worden.Namentlich im zweiten Teil des Krieges, wo die stark zusammengeschmolzeneInfanterie oft nur noch der Geschützbedeckung machte, war sie hervor-getreten. Sie hatte das Wesentlichste dazu getan, trotz der großen Über-zahl der Gegner die Schlachtfelder siegreich zu behaupten. Ihre Ver-mehrung im Verhältnis zu den andern Waffen wurde ein allgemein an-erkanntes Bedürfnis.
Die Kavallerie war unzufrieden mit den eigenen Leistungen heimgekehrt.Diese wurden vielfach abfälliger beurteilt, als sie es verdienten. ZuUnrecht vermißte man die von ihr gesprengten Bataillone, eroberten Fahnenund durchrittenen Treffen, von denen die Geschichte des SiebenjährigenKrieges erzählt. Man war sich nicht klar darüber, daß solche in die Augenfallenden Ergebnisfe bei der Auflösung der Verbände auf den Schlacht-feldern der Gegenwart überhaupt nicht mehr errungen werden konnten.Die kriegsgeschichtliche Forschung war noch nicht so weit fortgeschritten,daß sich aus ihr mit Sicherheit die Bedeutung der Kavallerieangriffeerkennen ließ, die sie auch ohne jene äußeren glänzenden Zutaten nochimmer besaßen. Erst in neuester Zeit ist dies geschehen und beispiels-weise die ungeheure Wirkung festgestellt worden, welche der abendliche