IX. Das Deutsche Reich und seine Wehrmacht
Reiterangriff der 6. Kavalleriedivision am 16. August 1870 gehabt hat.So rief man damals allgemein nach Massenverwendung und Schlachten-tätigkeit der Reiterei, um die Zweifler zum Schweigen zu bringen, die ver-kündeten, daß deren Wirksamkeit im modernen Kriege überhaupt vorüber sei.Neue Reglements, die dem allgemeinen Wunsche Rechnung trugen, er-schienen für die Kavallerie schon bald nach dem Kriege. 1873 bildete sichdie sogenannte „Dreitreffentaktik" heraus, die den Reiterführern langeZeit hindurch als das Heilmittel zum Siege galt, und die erst in neuererZeit einer freieren Verwendung der Kräfte je nach der Gefechtslage unddem Gelände Platz machte.
Die neue Bewaffnung wurde energisch in Angriff genommen. DasZündnadelgewehr, das sich 1866 dem Vorderlader gegenüber noch so vor-züglich bewährt hatte, war dem französischen Chassepot ohne Frage erheb-lich unterlegen gewesen. Schon 1875 war die gesamte Infanterie miteiner Waffe von kleinerem Kaliber und gestreckterer Flugbahn ausgerüstetund stand auf der Höhe der Zeit.
Auch die Artillerie erhielt nach dem Modell von 1873 ein neues Ge-schütz, das allen Anforderungen der Zeit in vollstem Maße entsprach. Inder Kavallerie versah man die leichten Regimenter zunächst mit erbeutetenChassepotkarabinern an Stelle der alten Pistolen, da ihre Ausrüstungmit einer wirksamen Schußwaffe als notwendig anerkannt worden war.
Vermehrte Anwendung von künstlichen Verstärkungen auf dem Schlacht-felds wurden als erforderlich erkannt und fleißiger als ehedem geübt, ob-wohl die alte Abneigung gegen diese „Maulwurfsarbeit" in der Armeenoch fortbestehen blieb. Zu den Neuerungen gehörte ferner die Aufstellungeiner besonderen Eisenbahntruppe. Zunächst beschränkte man sich freilichnoch auf ein einziges Bataillon.
Eine bedeutende Umwandlung erfuhr das Landesverteidigungssystem.Nach dem ersten Auftreten gezogener Geschütze und den für jene Zeit über-raschenden Erfolgen der damit gegen Festungswerke angestellten Schieß-versuche war man 1870 mit der Überzeugung in den Krieg gegangen,feste Plätze fortan im Vorübergehen mit Feldgeschützen erobern zu können.Dieser Irrtum hatte zu den vielen wirkungslosen Beschießungen geführt,denen selbst die alten Festungsbauten aus der Vaubanzeit meist erfolgreichwiderstanden haben. Zur größten Überraschung hatte der Festungskriegeinen breiten Raum eingenommen. Die Wichtigkeit eines modern umge-stalteten Landesverteidigungssystems war deutlich hervorgetreten. Frank-reich ging mit dem Beispiel eines solchen voran und Deutschland mußtenachfolgen, zumal da der Krieg nach zwei Fronten hin ins Auge gefaßt