Die deutsche Wehrverfassung ßv5
und den Völlig veränderten Grundsätzen für das Gefecht Rechnung ge-tragen wurde. Kurze Zeit vor seinem Tode unterzeichnete Kaiser Wilhelmder Große am 11. Februar 1888 ein neues Wehrpflichtgesetz, durch welchesdas zweite Aufgebot der Landwehr mit 6 Jahrgängen wiederhergestelltwurde, das bei der Reorganisation von 1859/60 bekanntlich verschwundenwar. Das Anwachsen der Nachbarheere, namentlich des französischen,machte die größere Anspannung im Wehrstande notwendig.
Am 9. März 1888 schloß der Kaiser die Augen, die so treu überDeutschlands Wohl und der Entwickelung seiner Kriegsmacht gewacht hatten.Nach der kurzen Regierung Kaiser Friedrichs III. bestieg Kaiser Wilhelm II. am 15. Juni 1883 den Thron, und eine neue Periode für das Heer be-gann. Nach gesunden einfachen Grundsätzen, wie die unmittelbare Er-fahrung der Kriegspraxis sie ergeben hatte, war es bis dahin geleitet; fürdie Vervollkommnung seiner Bewaffnung und Ausrüstung gewissenhaftgesorgt worden. Die Erbschaft, die der junge Monarch antrat, wareine gute. Dennoch wurde ein schnelleres Tempo im Fortschreiten not-wendig. Ein gewisser Stillstand konnte nicht geleugnet werden. DerJdeenkreis im Heere war im großen ganzen noch der von 1870. DieBekämpfung von Gegnern, wie den damaligen, blieb das Vorbild fürdie Truppenausbildung. Die großen Übungen, die diese abschlössen, dieKaisermanöver, waren im allgemeinen noch die gleichen wie vor demKriege. Sie gipfelten in dem Kampf einer Division gegen die anderedesselben Korps. Obwohl die entscheidenden Schlachten auf französischemBoden gelehrt hatten, daß gerade in der Bewegung und Verwendung dergrößeren Heeresmasfen sich erst die schwerste Aufgabe für die Führungeinstellte. Selbst ein Anklang an die alten königlichen Revuen war er-halten geblieben, nämlich das Exerzieren eines Armeekorps gegen den mar-kierten Feind, eine Art von Paradeschlacht nach vorher genau festgestelltenMomenten. Es herrschte auch noch der Brauch, daß ein Signal denKampf beendete, dann die Besprechung folgte und die kämpfenden Parteiensich mit Ausnahme ihrer Vorposten der Ruhe widmeten. In diesem Verlaufdurfte der Höhepunkt der Heeresausbildung nicht länger gesucht werden.Bedeutende Fortschritte wurden notwendig.
Zwei Vorbedingungen waren dafür zu erfüllen, nämlich das neue Regle-ment für die Hauptwaffe, die Infanterie, und die Regelung der den Zeit-verhältnissen entsprechenden Dienstzeit unter der Fahne. Ersparnisrück-sichten hatten eine steigende Zahl von Beurlaubungen des dritten Dienst-jahrganges notwendig gemacht.
Schon am 1. September 1888 erschien das von der Armee so lebhaft