Fortschritte der Technik
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Zunächst änderte die Erfindung des schwach rauchenden Pulvers voll-kommen das Bild des Kampfes. Die dichten, weißen Dampflinien zeich-neten fortan die Stellung von Freund und Feind nicht mehr ab. Daserschwerte die Führung. Sie entzogen aber auch die Kämpfer nicht mehrden spähenden Blicken des Gegners. Dazu kam die ungemein gesteigertePräzision der Schußwaffen. Entfernungen und Abstände vom Feindevergrößerten sich außerordentlich. Man ist heute erstaunt, wenn man aufden Schlachtfeldern von 1870 sich vergegenwärtigt, wie nahe damals nochdie von ihren Stäben umgebenen Führer an den Gegner hatten heran-reiten können. Bei jedem Manöver würde das heute als völlig nnkriegs-gemäß getadelt werden. Vor der furchtbaren Geschoßwirkung mußte sichvon nun ab jeder Kämpfer in Deckung halten, mit mehr Überlegung beimVorgehen allen Schutz ausnutzen, den das Gelände darbot. Auch dieBatterien fingen an, sich hinter den Höhenlinien, dem Auge des Feindesmöglichst entzogen, aufzustellen. Es entstand der Begriff der „Leere desSchlachtfeldes", der uns seit dem Mandschurischen Kriege geläufig gewordenist. Er bereitet Überraschungen aller Art, zwingt zu viel genauerer Er-kundung und zum Gebrauch künstlicher Aushilfen.
Schon der Russisch-Türkische Krieg von 1877/73 hatte eine weitgehendeAnwendung der Schanzarbeit im Felde gebracht und die große Wider-standsfähigkeit, welche die mit Hindernissen versehenen Erdwerke dort be-wiesen, lenkten die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung des Wurffeuers,das seit Einführung der gezogenen Geschütze nicht mehr hinlänglich be-achtet worden war. Die Verstärkung, welche die Verteidigung erfahrenhatte, forderte jetzt wieder kräftigere Angriffsmittel heraus. Eine allgemeineVermehrung des Steilfeuergeschützes und seine häufigere Anwendung imFeldkriege nahmen ihren Anfang. Zugleich fand die Technik in kräftigerenSprengstoffen neue Mittel zum Zerstören von Hindernissen ans der Ferne.Die Vervollkommnung aller Schußwaffen erforderte genauere Kenntnis,sorgfältigere Bedienung, eine viel höhere Intelligenz und Selbständigkeitdes einzelnen Soldaten als früher. Das neue, in der Wirkung verheerendeSchnellfeuergewehr ist wenig brauchbar in ungeübter Hand. Es wird unwirk-sam bei Fehlern im Schätzen der Entfernung oder in der Beurteilung der Ein-flüsse von Wind, Wetter, Temperatur und Beleuchtung. Seine Handhabungerforderte erhöhte Aufmerksamkeit, Überlegung und Wissen. Der Infanteristmußte verstehen lernen, wie wichtig der Hintergrund hinter dem Ziel fürsein Feuer und mancher andere Umstand noch wurde —wer hätte früher darangedacht. Eine Fülle neuer Unterrichtszweige ergaben sich daraus. Man be-gann systematisch sehen zu lernen, übte das Schätzen mit dem Auge ganz