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Soziale Tagesfragen / von Wilhelm Oechelhaeuser
Entstehung
Seite
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auf geistigem wie materiellem Gebiet jede Bewegung nur das End-ergebniß verschiedenartig einwirkender Kräfte darstellt. Die sozialeFrage mit ihren so viele Gebiete berührenden Aufgaben wird sich niein eiu Recheuexempel auslösen lassen, bei dem der Egoismus dieAnsätze macht und die Führung übernimmt. Nein, die Menschlich-keit mnß die Führerstelle übernehmen; allein, damit Alle dieserFührerin folgen, darf sie nichts Unmögliches, darf sie kein Verleugnenangeborener Triebe fordern, sondern muß diejenigen Wege aufsuchen,auf denen Menschlichkeit und Wahrung berechtigter Interessen soweit als möglich zusammengehen. Nur so wirkt man auf diesemGebiet mit Erfolg; mit bloßen humanen Redensarten richtet mannichts auS.

WaS wir hier auSsprecheu, sind eigentlich ganz gewöhnlicheWahrheiten, die man auf allen Gassen hören kann. Aber wie großist die Kluft zwischen der allgemeinen Anerkennung eines Satzes undseiner besonderen Anwendung auf den einzelnen Fall! Wir möchtenbeinahe behaupten, daß die ganze Lösung der sozialen Frage sich zuder Aufgabe verdichtet, den Einzelnen zu vermögen, das theoretischals wahr uud richtig Erkannte anch praktisch im gegebenen Falldurchzuführen. Allein hier stockt die Maschine. Es fehlt die ver-mittelnde Erkenntniß, wie der im Allgemeinen als richtig anerkannteGrundsatz auf den einzelnen Fall anzuwenden ist.

Greisen wir einige Beispiele aus dem praktischen Leben. Zu-nächst die Frage von der Dauer der Arbeitszeit, um die sich seitJahrzehnten der Kampf in der Arbeitswelt dreht. Hier handelt essich nicht um Siegen oder Unterliegen, nicht um einen Kampf, indemnothwendigerweise die Menschlichkeit oder der EgoiSmuS Schiffbruchleideu muß. Im Gegentheil, man kann hier ruhig dem Egoismusder Arbeitgeber und Arbeiter die Lösuug überlassen und er wird siein einer beide Theile befriedigenden Grenzbestimmuug finden, welchevon den allgemeinen Forderungen der Menschlichkeit nicht weit ab-liegt. Selbstverständlich dürfen hierbei aber nicht blinde Egoistenaufeiuanderstoßen, keine Arbeitgeber, die grundsätzlich jede Verkürzungder Arbeitszeit als baaren Schaden betrachten, keine Arbeiter, welchedie allgemeinen Folgen einer Verringerung der Produktionsmengezu würdigen außer Stande sind, nnd die überhaupt lieber faulenzen